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23.05.2007 Collegium Hungaricum: Interview mit Dr. Zoltán Fónagy
Dr. Zoltán Fónagy ist Historiker mit Schwerpunkt auf die ungarische Sozial- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 2003 kam er als wissenschaftlicher Vizedirektor des Collegium Hungaricum nach Wien, das er seit Herbst 2004 leitet.
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cca:
Beschreiben Sie bitte die wichtigsten Stationen in Ihrem Lebenslauf auf dem Weg zum Direktor des Collegium Hungaricum.
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Zoltán Fónagy:
Ich bin ausgebildeter Historiker mit dem Spezialgebiet ungarische Geschichte des 19. Jahrhunderts. Besonders starkes Interesse habe ich im Bereich der Alltagsgeschichte. Bevor ich nach Wien gekommen bin, habe ich an der Budapester Universität unterrichtet und war
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wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Geschichtswissenschaft an der ungarischen wissenschaftlichen Akademie. Ende der 1980er Jahre war ich übrigens schon einmal als Stipendiat des Collegium Hungaricum für zwei Monate in Wien. Ich komme zwar von der Seite der Wissenschaft, aber ich war immer sehr offen für Kultur. Ich habe an der Universität in Budapest auch ungarische Literatur und Sprachwissenschaft studiert und mein besonderes Interesse ist neben der Literatur auch das Theater. In meiner Tätigkeit als Direktor des Collegium Hungaricum bekomme ich ein sehr breites Bild über die zeitgenössische ungarische Kunst und Kultur. Das ist für mich auch der größte persönliche Gewinn meiner Tätigkeit.
cca:
Sie haben schon kurz die Stipendiaten des Collegium Hungaricum angesprochen. Wie erklären Sie sich den hohen Anteil an Sozial- und Geisteswissenschaftlern?
Zoltán Fónagy:
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Alle unsere Stipendiaten kommen aus dem Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften, wobei die Historiker immer die größte Minderheit bilden. Das liegt vielleicht daran, dass Naturwissenschaftler viel mehr Möglichkeiten haben, im Zuge interinstitutioneller Kontakte ins Ausland zu gehen. Außerdem hat Wien aus ungarischer Sicht eine besondere Bedeutung für die Geisteswissenschaften und im Besonderen für die Geschichtswissenschaften. Aufgrund unserer jahrhundertelangen Verbundenheit mit Österreich blieb nach der Auflösung der Monarchie ein sehr großer Teil unserer Geschichtsquellen in Wien. Für viele, die in diesem Bereich tätig sind, ist es unentbehrlich, Forschungsarbeiten in den Wiener Archiven, den Handschriftensammlungen, der Nationalbibliothek oder den Museen durchzuführen. Für solche Forschungen zur ungarischen Geschichte kann man nirgendwo sonst Unterstützung bekommen als vom ungarischen Staat.
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cca:
Welche anderen Aufgaben hat das Collegium Hungaricum neben der Stipendiaten?
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Zoltán Fónagy:
Ungarn hat 18 Auslandskulturinstitute. Davon ist das Wiener Kulturinstitut eines der größten und ältesten – es wurde 1924 gegründet. Aber nur fünf der 18 Kulturinstitute tragen die Bezeichnung Collegium Hungaricum. Der Unterschied liegt darin, dass ein Collegium Hungaricum neben dem kulturellen Profil auch ein wissenschaftliches Profil hat. Unser Profil ist dementsprechend zweiseitig: Wissenschaft und Kultur. Neben dem Stipendiatenprogramm haben wir im wissenschaftlichen Bereich auch Tagungen, Fachbuchpräsentationen, Vorträge usw. am Programm. Die größte Forschungsarbeit der letzten zwei Jahre war ein Sammelband, der im Herbst 2006 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der 1956er Revolution erschienen
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ist. In diesem Band sind die Forschungsergebnisse zu diesem Thema präsentiert. Es ist auch eine wichtige Aufgabe von uns, im Wissenschaftsbereich die entsprechenden Fachleute zusammenzuführen. Einerseits heißt das, Kontakte zu pflegen und zu vertiefen, aber auch neue Kontakte zwischen ungarischen und österreichischen Wissenschaftlern herzustellen. Unser zweites Aufgabenfeld ist der kulturelle Export, das heißt, Vertretern der ungarischen Gegenwartskunst – seien dies bildende Künstler, Musiker oder Literaten – die Möglichkeit zu geben, sich in Österreich vorzustellen. Das machen wir teilweise im Collegium Hungaricum selbst, aber häufiger und weitaus wirksamer sind jene Veranstaltungen, die wir außerhalb des Hauses mit österreichischen Partnern organisieren. Wir haben voriges Jahr zum Beispiel eine Reihe mit zweisprachigen Lesungen im Radiokulturhaus organisiert. Wir streben auch mit anderen hiesigen Auslandskulturinstituten gemeinsame Projekte an. Voriges Jahr haben wir gemeinsam mit Tschechien, Polen und der Slowakei das mitteleuropäische Theaterkarussell veranstaltet. Und dieses Jahr veranstalteten wir gemeinsam mit der finnischen und estnischen Botschaft die ersten finnougrischen Kulturtage in Wien. Unser Ziel ist es, möglichst viele Kooperationen mit österreichischen
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Institutionen, aber auch mit anderen Kulturinstituten durchzuführen, da uns die Erfahrung zeigt, dass wir so ein großes, interessiertes Publikum erreichen können. Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit im Kulturbereich ist auch die Herstellung von Kontakten zwischen den Akteuren der kulturellen Szene in Österreich und Ungarn. Deswegen helfen wir sehr gerne auch unsichtbar, also in Fällen, wo das Collegium Hungaricum als solches überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Wir versuchen auch in unser Programm – wenn es sich um reinen Kulturexport handelt – immer eine österreichische Mitwirkung einzubeziehen. Im Februar eröffneten wir zum Beispiel eine Ausstellung ungarischer Karikaturisten und satirischer Künstler. Zur Eröffnung haben wir die Direktorin des österreichischen Karikaturenmuseums aus Krems gebeten.
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cca:
Wie sieht die Zusammenarbeit mit den österreichischen Akteuren im Konkreten aus? Sind das tendenziell Institutionen im privaten, zivilgesellschaftlichen Raum oder kommen auch Kooperationen mit staatlichen Stellen zustande?
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Zoltán Fónagy:
Beides. Wir haben exzellente Partnerschaftsbeziehungen mit vielen Institutionen. Die engsten sind im Bereich der Wissenschaft zu finden, wie dem österreichischen Staatsarchiv, dem Institut für Osteuropäische Geschichte und dem Institut für den Donauraum und Mitteleuropa. Auch im Kunstbereich haben wir Kontakte. Kontakte mit einzelnen Personen aus dem Bereich der Kunst und Wissenschaft sind ebenfalls wichtig. Wir bemühen uns ständig, diesen Kreis zu erweitern. In Österreich gibt es in den verschiedensten Bereichen einen breiten Kreis von Leuten, die Kontakte zu ungarischen Kollegen haben. Und diese Beziehungen wollen wir natürlich stützen und auch darauf zurückgreifen.
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cca:
Sind die Aktivitäten des Collegium Hungaricum nur auf Wien beschränkt, oder umfassen sie auch das Umland von Wien bzw. andere Bundesländer?
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Zoltán Fónagy:
Theoretisch sind wir für ganz Österreich zuständig und so verlassen wir auch immer wieder Wien. Aber ich muss gestehen, dass wahrscheinlich 90 Prozent unserer Aktivitäten in Wien stattfinden.
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Wir hatten vor drei Jahren eine zwei Wochen dauernde Veranstaltung in Salzburg und etwas Ähnliches ist derzeit in St. Pölten in Vorbereitung. Unter unserer Mitwirkung tritt auch diesen Sommer am Jazzfestival in Wiesen ein Worldmusic-Ensemble auf. Also es gibt immer wieder Veranstaltungen außerhalb von Wien, aber seltener, als wir es möchten. Wir sind leider nicht groß genug dafür, obwohl wir wissen, dass wir mit denselben Veranstaltungen außerhalb Wiens vermutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen könnten als in Wien, mit seinem riesigen Kulturangebot.
cca:
Arbeitet das Collegium Hungaricum auch mit Kulturinstituten zusammen, die in keinem direkten Zusammenhang mit Ungarn stehen?
Zoltán Fónagy:
Der Kreis der Zusammenarbeit verändert sich ständig, zumeist ist es eine projektbezogene Zusammenarbeit. Natürlich arbeiten wir oft im Rahmen der Visegrád-Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Ebenso verhält es
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sich mit Rumänien oder Slowenien. Ich glaube, das ist auch eine natürliche Folge gemeinsamer Interessen. Es gibt den Verein der europäischen Kulturinstitute in Wien, von dem das Collegium Hungaricum übrigens Gründungsmitglied ist. An den dort geplanten Projekten, wie zum Beispiel der europäischen Clubnight im Herbst oder einer Veranstaltungsreihe zu Kinderliteratur, nehmen wir natürlich teil. Es gibt ja – wie schon erwähnt – dieses riesige Kulturangebot in Wien, und mit gemeinsamen Auftritten kann man ein größere Interesse und Aufsehen wecken.
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cca:
Sieht man sich das Programmheft des Collegium Hungaricum an, kann man einen "übernationalen" Charakter erkennen. Welches Bild von Ungarn soll das Collegium Hungaricum vermitteln?
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Zoltán Fónagy:
Das ist natürlich eine entscheidende Frage: Was möchte man von Ungarn in Österreich zeigen? Was wir zeigen wollen, ist eindeutig das Gesicht eines modernen, jungen Ungarns. Die alten Klischees von Zigeunermusik und Puszta kommen nicht in Frage. Das bedeutet aber nicht, dass die traditionelle Kultur aus dem Kulturinstitut verbannt ist. Es muss nur authentisch sein. Ich bin mir sicher, dass wir mit der Eingeschlossenheit in die nationale Vergangenheit und in die nationale Kultur langfristig zum Untergang verurteilt sind. Im heutigen Europa interessiert das immer weniger Leute. Wir wollen das weltoffene Ungarn zeigen, das man nicht nur in Budapest findet, sondern auch am Land.
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cca:
Angenommen, Sie hätten ein größeres Budget. Welche Kulturbereiche würden Sie verstärkt fördern?
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Zoltán Fónagy:
Ich werde etwas Überraschendes sagen. Es gibt nichts, was ich grundsätzlich verändern würde. Ich bräuchte nicht unbedingt mehr Geld, sondern ich würde das Geld grundsätzlich anders ausgeben. Wir haben das vielleicht größte Auslandkulturinstitut in Wien.
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Ein Großteil unseres Budgets wird für administrative Aufwendungen ausgegeben. Ich bin sicher, dass wir das Geld wesentlich effektiver ausgeben würden, wenn wir nur ein Programmbüro mit einigen Mitarbeitern hätten. Dieses wäre dann dafür verantwortlich, möglichst viele ungarische künstlerische und wissenschaftliche Veranstaltungen auf die österreichischen Bühnen usw. zu bringen. Natürlich ist es eine heikle Angelegenheit, bestehende Institutionen mit einer so langen Vergangenheit, wie das Collegium Hungaricum, zu verändern. Ich glaube auch nicht, dass meine Idee schnell verwirklicht werden wird. Wenn ich doch noch eine Kultursparte nennen sollte, die mehr zu fördern wäre, würde ich das Theater und den Tanz nennen. Ich bin überzeugt, dass Ungarn in diesen Bereichen Interessantes zu bieten hat.
cca:
Welche Veranstaltung im Programm des Collegium Hungaricum ist Ihr persönlicher Höhepunkt im Jahr 2007?
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Zoltán Fónagy:
Ein Highlight waren sicherlich die finnougrischen Kulturtage. Ich halte so etwas für eine ausgesprochen gute Idee, da selbst unter gebildeten Leuten die sprachliche Verwandtschaft zwischen Finnen, Esten und Ungarn unbekannt ist. Eine wichtige Veranstaltung mit historischer Dimension ist das 50-jährige Jubiläum des Flüchtlingsorchesters Philharmonia Hungarica am 28. Mai in Baden. Und ein paar Tage später beginnt das Filmfestival "Filme aus jUngarn". Das halte ich auch für ganz wichtig. Vom Herbstprogramm würde ich noch eine Ausstellung erwähnen, die wir gemeinsam mit der katholischen und evangelischen Kirche hier im Haus veranstalten. Es wird eine Heilige-Elisabeth-Ausstellung. Sie ist eine ungarische Königstochter, ist aber im deutschen Sprachraum bekannt und verehrt. Meiner Meinung nach sind immer die Programme die wichtigsten, bei denen ein natürliches Interesse in Wien besteht – das ist dann der Fall, wenn etwas zum Beispiel als gemeinsames Erbe oder gemeinsames Zukunftsinteresse betrachtet wird.
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cca:
Vielen Dank für das Gespräch. |
Interviewer: (ruw)
Weiterführende Informationen:
Collegium Hungaricum
Ankündigung Filme aus jUngarn
Ankündigung des Gedenkkonzerts der Philharmonia Hungarica
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