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Kultur.Diplomatie




19.10.2015  Die Einsamkeit der Božena Němcová – Ein Nachbericht des tschechischen Theaterstücks des Festivals „Magie der Sprache“



 Marta Sovová als Dora, © Simona Katzlinger  
 

Eine Frau am Küchentisch, sie schält einen Krautkopf. Ein ruhiger Abend – auch ein einsamer. Dora war ihr ganzes Leben lang Lehrerin, hat Dorfkinder in der Provinz unterrichtet. Geheiratet hat sie nie. Es gab einmal ein Kind, erfährt man, doch das hat sie zur Adoption freigegeben, wenig später wurde es krank und starb. Wie jeden Abend blättert sie durch die Post – da hält sie inne, ein Brief aus Prag. Ein Gremium lädt sie zum Gespräch über ihre Mutter. Die ist seit 50 Jahren tot.

 

Was sie gerade von ihr wollten, fragt sie sich – erst abwesend, dann immer eindringlicher. Dora vertieft sich in ungelesene Briefe ihrer Mutter, beginnt sich zu erinnern. Was hat sie zu sagen über diese Frau, die sie wie ein Dienstmädchen behandelte und sie losschickte, Bettelbriefe an Freunde zu überbringen, weil sie arm war, aber auch stolz?

 

Die Geschichte der Mutter ist die Geschichte der 1820 geborenen Dichterin Božena Němcová, einer hochtalentierten wie schönen Frau, die auf gesellschaftliche Konventionen pfiff, ihre Liebhaber häufig wechselte und zur tschechischen Nationalschriftstellerin wurde.

 

Sie bewegt sich in Patriotenkreisen, schreibt Romane, berühmt wird sie mit „Babička“ (Die Großmutter), sammelt und verfasst Volksmärchen (aus ihrer Feder stammt unter anderem „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“). Mit Freunden und Intellektuellen ihrer Zeit pflegt sie intensiven Austausch.

 

Doch das Leben hält für sie nicht nur Höhenflüge bereit, sie erlebt auch, was es heißt, tief zu fallen. Der Ruhm bringt nicht den erhofften Reichtum, Freunde wenden sich ab. Božena Němcová stirbt, obwohl von den Tschechen verehrt, einsam und verarmt.


Dora hat Mitleid, empfindet die Mutter Zeit ihres Lebens aber auch als harsch und egozentrisch. Das Klima, in dem sie aufwächst, ist beklemmend, sie leidet unter der Armut und sozialen Isolation. Mit 20 Jahren zieht sie ins ostböhmische Jičín, wo sie zurückgezogen bis zu ihrem Tod bleiben wird.

 

„Einsame Abende von Dora N.“ (Osamělé večery Dory N.) ist auch eine szenische Collage. Zwischen den Selbstgesprächen, Selbstbefragungen, zitiert Dora aus Briefen und Werkauszügen der Mutter. Der Versuch, die Geschichte der Mutter zu rekonstruieren, zielt dabei vor allem darauf ab, ihr eigenes Leben erzählend zu verstehen. 

 

Das Stück blickt so aus einer neuen – und dezidiert weiblichen – Perspektive auf die große Božena Němcová und beleuchtet gleichzeitig eine komplexe Mutter-Tochter-Beziehung. Ein dichter Abend, intensiv gespielt von Marta Sovová, die als Dora zwischen Verletzlichkeit, Trotz, Wut und Verständnis changiert und Schicht für Schicht nicht nur den Krautkopf sondern auch ihre Erinnerungen freilegt.

 

 

„Einsame Abende von Dora N.“ kam im Rahmen des Theaterfestivals „Magie der Sprache“, präsentiert von EUNIC Austria, zur Aufführung. Am Donnerstag, 22. Oktober 2015, folgt „9 von 10“ (9 din 10) der rumänischen Regisseurin Leta Popescu.  

 

 

Milena Štráfeldová, die Autorin von „Einsame Abende von Dora N.“, hat mit dem Tschechischen Zentrum Wien über die Hintergründe des Stücks gesprochen. Lesen Sie das Interview hier.  

 

Das gesamte Festivalprogramm finden Sie übrigens hier.

 

 

 

Martin Krafl (Direktor des Tschechischen Zentrums Wien) mit Schauspielerin Marta Sovová und der Autorin des Stücks, Milena Štráfeldová (v.l.n.r.), © Simona Katzlinger 

 

 

Martin Krafl (Mitte, Direktor des Tschechischen Zentrums Wien) mit Pamela Bartar (links, ConnectingCulture) und Eva-Marina Strauß (rechts, ConnectingCulture), © Simona Katzlinger  

 

 





 

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