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Kultur.Diplomatie




20.10.2008  Im Gespräch mit: Staatssekretär Mag. Andreas Schieder & MBL Mag. Othmar Karas



Anläßlich der September-Vorträge im Zigarrenclub von Staatssekretär Mag. Andreas Schieder und darauffolgend von
Mag. Othmar Karas, MBL, Vizepräsident der EVP-ED Fraktion und Obmann des ÖVP - Europaklubs im Europäischen Parlament befragte CoCuA beide Europapolitiker zur anhaltenden Skepsis gegenüber Europa und zu Ihren Visionen....

 

1. Sie beide verfügen über langjährige Erfahrung in und mit Europa in
unterschiedlichen Funktionen und bezeichnen sich jeweils selbst als
"glühende Europäer". Persönlich nachgefragt: Was macht einen "glühenden
Europäer" aktuell aus?


Adreas Schieder (A.S.): Einen glühenden Europäer zeichnet zuerst das uneingeschränkte Bekenntnis zum
Friedens- und Einigungsprojekt Europa aus. In der aktuellen politischen Situation der Europäischen Union bedeutet es für mich, sich auch für den Fortschritt und die Veränderung der EU einzusetzen, Europa als normale politische Ebene zu begreifen. Eine Ebene, die wir als Politikerinnen und Politiker gestalten, diskutieren und auch kritisieren.
Ich will, dass sich Europa weiterentwickelt - sozialer, demokratischer und bürgerInnennäher. Denn das Schlimmste, was man tun kann, ist die Union kritiklos unter einen Glassturz zu stellen. Wenn wir die Union weiterbringen
wollen, wenn wir mehr Akzeptanz für Europa wollen, wenn es uns gelingen soll, wieder die Herzen und Hirne der Menschen für Europa zu gewinnen, dann müssen wir Europa gestalten und verändern. Dieser Wunsch nach Gestaltung ist es, der für mich einen "glühenden Europäer" ausmacht.


Omar Karas (O.K): Für mich macht es einen glühenden Europäer aus, dass er in der Europäischen Gemeinschaft als erstes die Chance sieht, nicht das Risiko, dass er das Positive über das Negative stellt. Keine Frage, die EU ist noch lange nicht perfekt, aber sie ist ja auch noch lange nicht fertig. Die EU ist ein permantes in, sie hat sich im Laufe ihrer bislang fünfzigjährigen Geschichte permanent an neue Herausforderungen und Veränderungen angepasst - und das mit großem Erfolg. Wer ehrlich argumentiert, muß zugeben, dass auch die Mitgliedschaft Österreichs in der EU für unser Land von großem Nutzen war und ist. Im Kampf gegen globale Krisen, wie gerade jetzt in der Finanzkrise, hätten wir als einzelnes Land schlechte Karten. Eine Union von 500 Millionen Menschen und 27 Staaten aber hat Gewicht. Und dieser Schutz kostet uns pro Österreicher/in einen zweistelligen Eurobetrag pro Jahr als Mitgliedsbeitrag. Kurz: Es gibt am Haus Europa noch viel zu tun. Deshalb aber ausziehen zu wollen und allein unter freiem Himmel zu wohnen, bringt uns angesichts des stürmischen globalen Herbstwetters nichts. Österreich braucht jetzt mehr denn je eine verantwortungsvolle und staatsmännische Politik für ein starkes Österreich in einem einigen Europa. Denn nur gemeinsam sind wir stark. Ein glühender Europäer weiß das und will mitgestalten anstatt den Kopf in den Sand zu stecken.

 

 

2. Welche Themen sehen Sie 2008 mit vorrangiger Wichtigkeit für Österreich
in der Europäischen Union? Und daran geknüpft: Wo sehen Sie in diesem
Kontext den Stellenwert einer Rollendebatte Österreichs in der EU?

 

A.S.: Im Jahr 2008 hat natürlich das irische Nein zum Lissabon-Vertrag und die
damit einhergehende Diskussion über die Verfasstheit Europas, die Diskussion
in und über die Union geprägt. Das ist schade, zeigt aber auch schon, welche
Probleme das europäische Projekt im Moment hat. Denn die nun über ein
Jahrzehnt dauernde Diskussion über die Strukturen der Union hat viele
wichtige inhaltliche Fragen entweder offen gelassen oder in den Hintergrund
gedrängt.
Gerade angesichts der aktuellen Finanzmarktkrise wäre es längst überfällig,
dass sich die Europäische Union als das Dach für seine Bürgerinnen und
Bürger darstellt, dass es sein könnte und sollte. Hier gäbe es viele
Ansatzpunkte, die nicht nur zu mehr Kontrolle und Transparenz auf den
Finanzmärkten führen würde, sondern in direkter Folge auch zu viel mehr
Anerkennung der Union bei ihren BürgerInnen beitragen würde. Aber auch was
die Fragen der sozialen Sicherheit anlangt, was die Einbindung der
Öffentlichkeit und der Menschen in den Entscheidungsfindungsprozess anlangt,
gibt es viel Nachholbedarf.
Die Frage nach der Rolle Österreichs in dieser Diskussion greift aus meiner
Sicht zu kurz. Wir müssen uns bemühen und uns darum kümmern, diesen Diskurs
nicht immer aufs Neue aus nationalstaatlicher Sicht zu sehen, sondern
parallel dazu auch aus einer europäischen. Es muss also auch einen
europäischen Diskurs geben, der auch versuchen muss, eine möglichst breite
Öffentlichkeit zu erreichen. Ein Fortführen der Union als Elitenprojekt wird
der Union dauerhaft nicht hilfreich sein.

 

O.K.: Wer die Frage nach der Rolle Österreich in der EU stellt, darf nicht übersehen, dass wir seit zehn Jahren eine sehr starke, positive und konstruktive Rolle spielen. Österreich hat zwei erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaften absolviert, unser Wort und unser Beitrag auf europäischer Ebene hat Gewicht. Natürlich zählen wir nicht zu den großen EU-Staaten - und gerade deshalb braucht Österreich den Vertrag von Lissabon als notwendige Sicherung unseres Einflusses in der EU-Gemeinschaft.

Dieser Vertrag stellt aus heutiger Sicht die bestmögliche Wahrung der österreichischen Interessen dar. Denn was würde 2009 ohne den Lissabon-Vertrag passieren? Dann gilt der Vertrag von Nizza - und mit dem bekäme Österreich nach 2009 nur mehr 17 Europaabgeordnete bekommt, statt 18 wie bisher und 19 gemäß dem Lissabon-Vertrag. Der Vertrag von Nizza sieht auch vor, die EU-Kommission 2009 zu verkleinern, ohne kleine Länder durch ein festgelegtes Rotationssystem bei der Vergabe der Kommissarsposten abzusichern. Mit Lissabon kommt die Verkleinerung der Kommission erst 2014 und dann mit garantiertem Rotationsverfahren. Mit dem Vertrag von Lissabon werden die kleinen und mittleren Staaten besonders geschützt.
Der Reformvertrag schafft aber auch andere, ebenso notwendige Änderungen. Neue und wichtige Themenfelder wie die Energiesicherheit oder der Kampf gegen den Klimawandel werden zu Kompetenzen der Union - auch hier kann kein land alein erfolgreich handeln, ein gemeinsames Vorgehen ist notwendig!
Weitere wichtige Themen, abseits der Vertragsdiskussion: Die EU-Kommission hat soeben einen neuen Vorschlag für Gesundheitsdienstleistungen vorgelegt, ebenso wie eine Neufassung der Wegekostenrichtlinie. Hier müssen wir gemeinsam und entschlossen für Österreichs Interessen kämpfen, denn die Transitbelastung gerade in der Alpenregion muss gemildert werden. Mauterhöhungen alleine sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Hier trifft sich auch die Mautproblematik mit der Sorge um die stetig steigenden Energiepreise. Ein engagierter Ausbau des öffentlichen Verkehrs, vor allem der Bahn, muss kommen. Schlußendlich muß sich Europa die Bekämpfung der Finanzkrise und die Abmilderung ihrer Folgen auf die Fahnen schreiben. zu Für alle diese Probleme brauchen wir aber österreichische Initiativen und eine gesamteuropäische Perspektive.

3. Welche Fragen wünschen Sie sich von einer aktiven und kritischen,
europäischen Öffentlichkeit in Österreich?

 

A.S.: All jene Fragen, die ich mir von einer aktiven, kritischen Öffentlichkeit
auf allen anderen politischen Ebenen auch wünsche: Wie kann es gelingen,
Wohlstand für möglichst viele Menschen mit einer fairen Verteilung zu
erreichen? Welche Schritte gilt es zu setzen, um das europäische Sozial- und
Lebensmodell stärker mit Leben zu erfüllen, das sich klar vom
us-amerikanischen und asiatischen Modell unterscheidet. Europa zum
innovativsten und wettbewerbfähigsten Markt der Welt zu machen, basierend
auf einer möglichst großen Bildung, hochwertigen Jobs und sozialer Kohäsion.

 

O.K.: Die Art wie im vergangenen Nationalrats-Wahlkampf über das Thema Europa gesprochen wurde, ließ tief blicken. Stil und „Argumente“ offenbarten sowohl eine erstaunliche Unkenntnis über, als auch ein tiefgehendes Desinteresse an Europa in weiten Teilen der Bevölkerung. Das ist an sich schon schlimm genug. Aber diese verbesserungswürdige Stimmung, die ja eigentlich immer nur Ausdruck irrationaler Ängste und somit überwindbar ist, wurde von Medien und politischen Kräften in verantwortungsloser Weise instrumentalisiert. Der anti-europäische Schulterschluß von Faymann und Strache sei hier als plakativstes Beispiel genannt. Europa stört manche Leute in ihrer Selbstzufriedenheit. Die Welt verändert sich. Und wer das nicht wahrhaben will, findet in der EU einen Sündenbock. So kann es nicht bleiben.
Die Menschen stehen Europa nicht so negativ gegenüber, wie uns das SPÖ, FPÖ und die Leserbriefseite der Kronenzeitung glauben machen wollen. Jeder meiner zahlreichen Kontakte mit Bürgern in Österreich wie auch in Brüssel oder Strassburg beweist mir das aufs Neue. Man muß sie nur ehrlich und objektiv informieren. Und man muß den Menschen auch manche schmerzliche Wahrheit sagen anstatt sie zu belügen. So etwa, dass die Welt sich verändert. Die weltweite Konkurrenz mit den USA, China und Indien wird in Zukunft schärfer werden. Europa ist vor allem ein Garant dafür, dass die bisher beispiellose Phase des Friedens, der Entfaltung und der Prosperität andauert und dass in einer globalisierten Welt das Europäische Gesellschaftsmodell wettbewerbsfähig bleibt. Die EU ist Ausdruck europäischer kultureller, historischer, demokratischer Errungenschaften und die erfolgreichste Antwort unseres Kontinents auf die Globalisierung. Ich würde mir wünschen, dass es politischer Grundkonsens in unserem Land wird,

dass wir das den Bürgern gegenüber ehrlich ansprechen und die Vorzüge Europas für sich sprechen lassen,

anstatt dagegen zu arbeiten.

4. Die Europäische Union ist das bedeutenste Friedensprojekt der
Zeitgeschichte - Soweit stimmen nahezu alle Stimmen überein: Welche
mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen sehen Sie, um das Thema für
BürgerInnen nicht nur attraktiver zu machen, sondern auch neue Wege für eine
europäische Demokratie zu entwickeln?


A.S.: Offen den Dialog mit den Menschen Europas führen, auf sie zugehen, ihre
Sorgen und Anliegen an die Politik ernst nehmen und daraus konkrete
politische Handlungen abzuleiten. Die Europäische Union stärker in jenen
Bereichen entwickeln, wo es aktuell Defizite gibt: Im Bereich der sozialen
Sicherheit, bei der Frage, wie die Chancen, die sich durch die
Globalisierung und die engere Vernetzung ergeben, möglichst viele Menschen
teilhaben und profitieren können und auch die Gefahren abzuwehren.
Natürlich auch, welche Formen demokratischer Mitgestaltungsform auf
europäischer Ebene gefunden werden können, um diese
Entscheidungsfindungsprozesse transparenter, offener und partizipativer zu
gestalten.

 

O.K.: Auch hier sind im Vertrag von Lissabon sehr wichtige Weichenstellungen vorgesehen. Es ist ja eine Ironie der Geschichte, dass gerade gegen den Vertrag, der die europäische direkte Demokratie nachhaltig stärkt, mit der Unterstellung der Demokratiefeindlichkeit polemisiert wird. Erstmals werden durch ein europäisches Volksbegehren bereits 1 Mio. Bürger (das sind 0,2% der europäischen Bevölkerung!) in der Lage sein, die die europäische Gesetzgebung aktiv mitzugestalten. Die Charta der Grundrechte gibt den europäischen Bürgern erstmals bis hin zum Europäischen Gerichtshof einklagbare Rechte. Gleichzeitig bekommen durch den neuen Vertrag die nationalen Parlamente einen größeren Einfluss auf europäische Entscheidungen. In Zukunft kann das österreichische Parlament Einspruch gegen Vorschläge der Europäischen Kommission erheben, wenn ein Vorhaben in unsere nationale Kompetenz eingreift oder das Subsidiaritätsprinzip verletzt. Das stärkt die Rolle der nationalen Parlamente und auch die Kommunen, denn gleichzeitig wird die Selbstverwaltung der Regionen und der Gemeinden im Vertrag von Lissabon erstmals verbindlich anerkannt. Und schlußendlich bekommt das Europäische Parlament als direkt gewählte Vertretung der Bürgerinnen und Bürger viel mehr Rechte, entwickelt sich zu einem Vollparlament, das ist 95 Prozent aller EU-Gesetze gleichberechtigt mit dem Ministerrat entscheidet. Angstmache ist also völlig unbegründet und gänzlich fehl am Platze. Die Demagogen und Berufsbedenkenträger in Medien und Politik verfolgen bloß Eigeninteressen, für die sie die Bürger instrumentalisieren wollen. Wenn man es lässt, dass spricht Europa ganz für sich selbst und die Attraktivität des Projektes Europa ist so unerhört, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Man muß nur unvoreingenommen hinsehen.

 

5. Ein Blick in die Zukunft nach der Nationalratswahl am 28.September: Nach
dem Jahr des Interkulturellen Dialogs 2008 folgt 2009 das Jahr der
Innovation & Kreativität... Ist der forcierte kreative Imperativ ein
geeignetes Mittel für die Herausforderungen, wie sie zum Beispiel durch
Arbeitslosigkeit und Globalisierung für jene sogenannte neue "Generation
Europa" entsteht bzw. wo sehen Sie Grenzen?"



A.S.: Kreativität ist eines der wichtigsten Assets im Gestalten. Des persönlichen
Lebens, im beruflichen Leben und natürlich auch im politischen Bereich.
Innovation ist ebenfalls ein Aspekt, der ein gemeinsames, zukünftiges Europa
auszeichnen wird müssen. Gleichzeitig ist es mir wichtig, darauf
hinzuweisen, dass eine Verkürzung der Frage nicht zu den gewünschten
Lösungen führen wird. So wie der "interkulturelle Dialog" nicht mit dem
Jahreswechsel von 2008 auf 2009 beendet sein wird und kann, kann Innovation
und Kreativität nicht auf ein Jahr beschränkt sein. Was es braucht, um die
Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen und sie positiv zu beantworten,
ist ein Zusammenspiel vieler Aspekte. Aber auch hier gilt: Europa steht vor
den Herausforderungen, vor denen auch alle einzelnen Nationalstaaten stehen.
Lösungen dafür müssen wir dort erarbeiten, wo sie am besten greifen:
manchmal ist das die regionale Ebene, in anderen Fällen ist das die
nationale Ebene und in vielen Fällen wird es europäische Lösungen brauchen.
Die "Generation Europa" also jene jungen Menschen, für die Europa
selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens ist, wird mit diesem
Background einen wichtigen Beitrag liefern.
In diesem Bereich sehe ich keine Grenzen, sondern nur die Frage: Wo kann
Politik die bestmöglichen Lösungen für die Menschen erarbeiten und anbieten.

 

O.K.: Innovation und Kreativität sind Motoren der europäischen Entwicklung und waren es immer schon. Ohne die innovative Kraft einiger Weniger hätte das europäische Einigungswerk so nie stattgefunden. Forschung und Wirtschaft in Europa brauchen eine effiziente und starke Struktur und einen entsprechenden Stellenwert in der Europäischen Union. Gerade Österreich hat hier eine Vorreiterrolle übernommen. Ich denke da etwa an die gemeinsame Bewerbung von Wien und Bratislava für den Standort des Europäischen Technologieinstitutes. Projekte wie dieses sind Schritte zum Aufbau einer integrierten europäischen Forschungs- und Innovationsstruktur für das 21. Jahrhundert. Von der gemeinsamen europäischen Forschungspolitik profitieren gerade auch unsere Klein- und Mittelbetriebe in hohem Maße. Es gibt da schöne Beispiele aus dem Luftfahrzeugbau oder sogar der Raumfahrttechnologie. Europa als ganzes muss aber im Bereich der Hochtechnologie und der Innovation noch mehr tun, um weltweit den Anschluß an die USA nicht zu verlieren, bzw. um nicht von China und Indien eingeholt zu werden, die in der Forschungsinvestition gerade massiv aufholen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die enorme zukunftsweisende Wichtigkeit von Projekten wie dem europäischen Satellitennavigationssystem Galileo oder eben dem Europäischen Technologieinstitut. Österreich hat beste Voraussetzungen in dieser europäischen Forschungslandschaft seinen Spitzenplatz zu behaupten und Auszubauen. Hier sehe ich genauso genommen keine Grenzen, denn Innovation und Kreativität sind so grenzenlos wie der europäische Forschungsraum.

 

 

CCA: Wir danken für das Gespräch!

 

Interview: Pamela Bartar

Fotos: Pamela Bartar, Zigarrren & Klub "ZK" c/o PLEON PUBLICO





 

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