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Kultur.Diplomatie




13.10.2015  Theaterfestival „Magie der Sprache“ – Im Gespräch mit Milena Štráfeldová



Einsame Abende von Dora N. – Interview mit Milena Štráfeldová, Autorin des Stücks


Tschechisches Zentrum Wien: Auf den Stoff für dieses Theaterstück sind Sie gestoßen, als Sie Material für eine Dokumentarsendung des tschechischen Rundfunks anlässlich des 150. Todestags von Božena Němcová gesammelt haben. In dem Stück zeigen Sie die tschechische Nationalschriftstellerin in einem völlig anderen Licht, als sie aus Lehrbüchern bekannt ist, und zwar aus der Perspektive ihrer Tochter Dora. Die Beziehung zwischen der bildschönen und allseits bewunderten Mutter und ihrer Tochter, die fernab jeder Aufmerksamkeit stand, war mehr als kompliziert. Wie haben Sie Dora Němcová entdeckt und warum haben Sie sich gerade für sie entschieden?


Milena Štráfeldová: Božena Němcová eine Tochter hatte, habe ich erst beim Lesen ihrer umfangreichen Korrespondenz erfahren, wo Dora ab und zu erwähnt wurde. Über Němcovás Kinder weiß man überhaupt sehr wenig. Meistens wird nur von ihrem ältesten Sohn Hynek gesprochen, und das nur, weil sein frühzeitiger Tod im Alter von 15 Jahren für Němcová ein sehr schmerzhaftes Ereignis war. Diese Tragödie hat sie eigentlich dazu bewogen, ihr bekanntestes Werk „Babička“ (Die Großmutter) zu schreiben. Über ihre zwei weiteren Söhne wissen die meisten sehr wenig, obwohl sie beide sehr bedeutende und international anerkannte Persönlichkeiten geworden sind. Dora blieb vollkommen unbekannt. Über sie gibt es nur eine regionale Studie aus Jičín (Ostböhmen), wo sie einen Großteil ihres Lebens verbrachte. Gerade ihr Schicksal und die Beziehung zu ihrer Mutter zeigen Božena Němcová in einem völlig anderen Licht als wir sie kennen. Ihrer Tochter gegenüber war die Schriftstellerin sehr gefühlskalt und kritisch und machte sie quasi zu ihrem Dienstmädchen.


Das Leben von Němcová und ihrer Tochter war gleichzeitig von ihren großen Erfolgen wie von ihrem Untergang geprägt. In dem Theaterstück werden Němcovás Briefe zitiert, in denen sie andere tschechische Patrioten um Hilfe bittet. Wie sieht Dora die Tatsache, dass ihrer Mutter nur selten geholfen wurde, als sie noch am Leben war, während sie nach ihrem Tod verehrt und gefeiert wurde? Und wie lief Doras Leben nach dem Tod ihrer Mutter weiter?


Dora erlebte die beklemmende Lage ihrer Mutter und der ganzen Familie in einem sehr empfindsamen Alter, in der Zeit des Erwachsenwerdens. Umso schwieriger muss es für sie gewesen sein. Und es war nicht nur die materielle Not, sondern auch eine soziale Isolation. Božena Němcová lehnte es ab, sich den zeitgenössischen Konventionen und moralischen Vorstellungen zu unterwerfen, sie wollte ihr Leben frei gestalten. Die patriotische tschechische Gesellschaft von damals verurteilte immer mehr ihr Verhalten, ihre außerehelichen Beziehungen, ihren „nicht sparsamen“ Lebensstil usw.

Němcová selbst sprach von ihren Zeitgenossen als „Pöbel“. Dora, ein sensibles, scheues und zurückhaltendes Mädchen, muss zweifellos sehr daran gelitten haben. Nach dem Tod ihrer Mutter ging sie mit 20 Jahren in die ostböhmische Kleinstadt Jičín, wo sie die nächsten 60 Jahre als Lehrerin verbrachte. Sie blieb einsam, kontaktscheu und einzelgängerisch, als Lehrerin war sie nicht besonders beliebt. Überdies musste sie sich auch mit einer sehr schwierigen Lebenssituation auseinandersetzen – darüber erfahren Sie mehr im Theaterstück …

 

Ein wichtiger Teil des Theaterstücks ist auch der Krautkopf, den Dora während der Vorführung schneidet. Am Ende darf das Publikum sogar ein Stück davon kosten. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass gerade ein Krautkopf zum einzigen „Gegenspieler“ der Schauspielerin wird?


Das ganze Theaterstück spielt sich in Doras Küche ab, in ihrer innersten Privatsphäre. Dora ist zu dem Zeitpunkt eine alte Dame, die mit Armut kämpft und davon lebt, was ihr eigener Garten abwirft. Sie baute dort bestimmt auch Weißkraut an, eine der gängigsten Zutaten der traditionellen böhmischen Küche. Einen Krautkopf kann man zudem auch schälen, so wie Dora ihr eigenes Leben Schicht für Schicht schält, man kann sich damit „auseinandersetzen“, die Wut auf die Mutter und das misslungene Leben an ihm austoben. Das sind aber eher nachträgliche Interpretationen. Tatsächlich kam mir diese Idee von Dora, wie sie den ganzen Abend lang einen Krautkopf schneidet und schließlich davon einen Salat für die Zuschauer zubereitet, eher spontan. Ich musste sie zunächst stark vor dem Regisseur verteidigen, während der etwa 50 Aufführungen hat aber schließlich auch er eingesehen, dass der Krautkopf wirklich an Doras Seite „spielt“. Und Dora an seiner.

Němcová selbst ist mit der Stadt Wien eng verbunden – sie wurde hier geboren und getauft. Das Stück wird hier auch nicht zum ersten Mal vorgeführt. Diesmal ist es ein Teil des Theaterfestivals „Magie der Sprache - Festival des aktuellen europäischen Theaterschaffens“. Dieses Festival wird von dem Verein EUNIC Austria organisiert, der Kulturinstitute und Botschaften verschiedener europäischer Länder vereint. Wird das Stück zum ersten Mal im Rahmen eines Festivals im Ausland gezeigt?


Das Stück war noch nie Teil eines Theaterfestivals im Ausland. Jedoch wurde es in Wien bereits als Einzelstück vorgeführt, und zwar in der tschechischen Botschaft. Das Stück haben wir auch für Auslandstschechen in Brüssel gespielt und diesen September gab es auch vier Vorführungen für diese in der Slowakei. Das Theaterstück wurde auch als Hörspiel aufgenommen. Dort wird die Hauptrolle von Taťána Medvecká, der renommierten Schauspielerin des Prager Nationaltheaters, verkörpert. Für diese schauspielerische Leistung wurde sie mit dem historisch ersten Thalia-Preis für Hörspiel ausgezeichnet.

 

 

„Einsame Abende von Dora N.“ läuft am 15. Oktober um 19 Uhr im Italienischen Kulturinstitut Wien. 

 

 

 

 

Redaktion: Tschechisches Zentrum Wien  

 

 

 

 





 

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