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Kultur.Diplomatie




16.08.2007  Estnische Botschaft: Mag. Saale Kareda / INTERVIEW



 

  

Die Botschaft von Estland in Österreich wurde 1993 eröffnet. Seit 2005 ist die Musikwissenschafterin, freiberufliche Musikredakteurin und -kritikerin, Mag. Saale Kareda, Kulturreferentin an der Estnischen Botschaft in Wien. 

     

 

 

 

            

CCA: Bitte erläutern Sie Ihre bisherige berufliche Laufbahn.

 

Saale Kareda: Ich bin Musikwissenschafterin, komme aus Tallinn und habe dort auch mein Studium absolviert. Mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ging ich 1999 nach Berlin. Ein Jahr darauf kam ich mit dem Herder-Stipendium nach Wien. Hier begann ich mein Doktoratsstudium. Schon Anfang der 90er Jahre, also bereits während meines Studiums, war ich in Estland als freiberufliche Musikkritikerin tätig. Von 1994 bis 1999 arbeitete ich als Musikredakteurin bei der interdisziplinären elitären Zeitschrift "Theater.Muusika.Kino", der einzigen Zeitschrift, die auch musikwissenschaftliche Artikel publiziert. Meine Tätigkeit als freiberufliche Musikwissenschafterin und -kritikerin für Estland setzte ich auch während meiner Auslandsaufenthalte immer fort. Ich schreibe und übersetze für verschiedene Medien.  

 

 

CCA: Wie würden Sie Ihre Aufgabe als Kulturreferentin der Estnischen Botschaft beschreiben?

 

Saale Kareda: Meine Aufgabe als Kulturreferentin besteht natürlich darin, der Bevölkerung mitteleuropäischer Länder die Kultur meiner Heimat näher zu bringen. Dabei liegt mir ein Aspekt besonders am Herzen: Nach der Wende gingen viele

     

Musiker ins Ausland. Jene, die in Estland blieben, verdienen nicht ausreichend. Ihnen fehlt oft die Möglichkeit, Konzerte zu geben, was für den Erhalt eines hohen künstlerischen Niveaus aber unabdingbar ist. Wenn ich für diese Musiker Konzerte in Österreich organisieren kann, bedeutet das nicht nur, estnische Kultur auf Topniveau zu präsentieren, sondern die Musiker auch zu unterstützen, mitzuhelfen, dass sie nicht aufgeben, und gleichzeitig zum Erhalt künstlerischer Qualität beizutragen. Wirtschaftlich geht es Estland zwar nicht schlecht. Wirft man jedoch einen Blick auf die Lebensumstände der Intellektuellen, Musiker, Lehrer und Lehrerinnen, erkennt man, dass hier ein Kampf ums Überleben stattfindet.

 

  

CCA: Welche kulturellen Projekte wurden in diesem Jahr bereits realisiert?

 

Saale Kareda: Anlässlich des Nationalfeiertags Estlands veranstalteten wir am 28. Februar ein Konzert mit dem New Tallinn Trio im Palais Pallavicini. Im Rahmen der Reihe "European Jazz Nights" hatten wir am 19. Juni ein Konzert im großen Sendesaal des RadioKulturhauses. Hier spielten drei verschiedene Gruppen, unter anderem das Free Tallinn Trio. Es war unfassbar, was dieses Trio zustande brachte. In der Regel bedürfen sowohl die Komposition eines Werkes als auch der Prozess, die komplexen Strukturen zu lernen und zu interpretieren, mehrere Monate. Die drei Musiker aber improvisierten und setzten diesen Vorgang ohne jegliche vorher festgelegte Struktur und mit einem enorm hohen Grad an Komplexität unmittelbar um. Das war fantastisch!

 

  

CCA: Inwieweit gehen die kulturellen Aktivitäten der Estnischen Botschaft über Wien hinaus?

  

Saale Kareda: 2005 beteiligten wir uns am Carinthischen Sommer in Ossiach mit der Ausstellung "Im Vogelflug über Estland". Gezeigt wurden Werke des estnischen Fotografen Endel Grensmann. Für 2006 organisierten wir die Konzerttournee des Tallinn Kammerorchesters, dessen drei Stationen Hall in Tirol, das Schloss Laudon in Mauerbach und der große Sendesaal des RadioKulturhauses waren. Im selben Jahr veranstalteten wir in Salzburg die Ausstellung "Freiraum", in deren Rahmen wir drei estnische Künstler präsentierten. Hierbei unterstützte uns die Salzburgisch-Estnische Gesellschaft, deren Präsidentin Sirje Winding-Frauenlob uns oft hilfreich zur Seite steht. Im Juni dieses Jahres hatten wir zwei Konzerte in Niederösterreich: in Ternitz und in Eggenburg. Und im September bringen wir eine Volkstanzgruppe der estnischen Insel Hiiumaa zum Salzburger Festival "Werfenwenger Weis’ 2007".

 

  

CCA: Überschreitet die Estnische Botschaft in Wien auch die Grenzen Österreichs?

 

Saale Kareda: Wir sind nicht nur für Österreich zuständig, sondern auch für die Schweiz, die Slowakei, Slowenien und drei multilaterale Vertretungen: für die UNO, die IAEA und für CTBT. In der Schweiz beispielsweise veranstalteten wir letztes Jahr das dreiwöchige Festival "Culturescapes 2006. Estland". Präsentiert wurden zeitgenössische klassische Musik sowie Jazz-Ethno, das estnische Nationalepos wie auch zeitgenössische Literatur, neue Animafilme, avantgardistisches Theater und experimentelle Kunst. Das Festival mündete in das dreitägige Symposion "Wandel und Konstanten – 15 Jahre unabhängiges Estland", an dem hochrangige estnische Wissenschaftler, Künstler, Politiker und Journalisten teilnahmen.

  

 

CCA: Welche Projekte planen Sie für das Jahr 2008?

 

Saale Kareda: Nächstes Jahr wird die estnische Republik neunzig Jahre alt. Da stehen natürlich mehrere größere Events auf dem Programm. Zum einen planen wir eine Tournee mit dem international erfolgreichen Mädchenchor des estnischen Fernsehens durch Bratislava, Wien, Salzburg, Hall in Tirol und Basel. Im Herbst werden wir in Salzburg eine Opern- und Ballettgala mit Künstlern des Opernhauses von Tartu – Estlands zweitgrößter Stadt – veranstalten. Außerdem planen wir eine Ausstellung über den estnischen Musiker Arvo Pärt, einen der weltweit meistgespielten zeitgenössischen Komponisten moderner Klassik.

 

  
CCA: Wie gestalten sich die Finanzierungsmöglichkeiten für die kulturellen Projekte?

  

Saale Kareda: Leider sind unsere finanziellen wie auch personellen Ressourcen stark begrenzt. Zwar können wir beim Kulturbüro des Außenministeriums in Estland finanzielle Unterstützung beantragen, diese ist jedoch meist sehr gering. Darüber hinaus erleichtert das hohe Maß an Bürokratie die Organisation der Projekte nicht gerade. Die Projektpläne und -kalkulationen müssen etwa eineinhalb Jahre vor deren Umsetzung eingereicht werden. Die Zusammenarbeit mit den Künstlern und Musikern so weit im Voraus zu planen, ist aber nicht immer möglich, da sich in der Musik- und Kunstszene vieles innerhalb kürzester Zeit entwickelt. In Estland gibt es eine Kulturstiftung, bei der man viermal pro Jahr Anträge stellen kann. Auch hier sind längerfristige Einreichungen nötig. Anders als beim Kulturbüro kann man hier aber auch um Künstlerhonorare ansuchen. Das Problem bei der Planung liegt letzten Endes darin, dass man mit dem Künstler, dem Veranstaltungsort, mit Institutionen und Partnern bereits in Kontakt steht, aber noch nicht weiß, ob man die notwendigen finanziellen Mittel für die Realisierung des Projekts erhält.

 

 

CCA: Gibt es eine Möglichkeit, die finanziellen Engpässe zu umgehen?

 

Saale Kareda: Eine solche Möglichkeit liegt in der Kooperation mit anderen Einrichtungen. Für Herbst planen wir beispielsweise ein Projekt mit der Botschaft von Lettland. Gemeinsam präsentieren wir das Lebenswerk von Johann Christoph Brotze, die Enzyklopädie "Estonica", die die Vergangenheit der estnischen, lettischen und deutschbaltischen Kultur beleuchtet. Die Präsentation wird, gleichzeitig mit der Eröffnung einer Ausstellung über Brotze, am 12. Oktober an der Universität Wien stattfinden. Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen erleichtert nicht nur die Finanzierung, sondern ermöglicht es auch, ein größeres Publikum zu erreichen. Dies zeigte sich bereits bei den ersten finnougrischen Kulturtagen, die wir gemeinsam mit dem Collegium Hungaricum und der Botschaft von Finnland veranstalteten. Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung ist das Sponsoring. Da die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Estland jedoch noch nicht sonderlich gut entwickelt sind, ist es uns bisher noch nicht gelungen, österreichische Sponsoren für unsere Kulturveranstaltungen zu gewinnen.  

 

 

CCA: Auf welchem Gebiet sind die künstlerischen Qualitäten Estlands besonders stark ausgeprägt?

     

  

Saale Kareda: Estland hat eine große Zahl weltberühmter Musiker und Komponisten, wie Arvo Pärt und Helena Tulve, ebenso wie Dirigenten, beispielsweise Olari Elts, Neeme Järvi und dessen Söhne Paavo und Kristjan Järvi. Außerdem hat Estland eine hohe Chorkultur. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden regelmäßig Chorfestivals veranstaltet, bei denen die besten Chöre des ganzen Landes zusammentreffen. Nicht umsonst wird die estnische Nation als Sängernation bezeichnet. In Relation zur Bevölkerungszahl des Landes ist die Anzahl qualitativ guter Musiker überproportional hoch. Musik ist daher unser Hauptkulturexport.

 

  

CCA: Worauf führen Sie als Musikwissenschafterin dieses Phänomen zurück?

 

Saale Kareda: Verglichen mit den Nationen Mitteleuropas sind die Esten meiner Ansicht nach stärker mit der Natur verbunden. Wir haben unsere Wurzeln noch nicht verloren. Wir schöpfen aus ihnen Kraft, die die Quelle unserer Musikalität ist. Selbstverständlich haben wir auch sehr gute Schriftsteller, bildende Künstler und Schauspieler. Aber Musik ist am internationalsten, da sie keiner Übersetzung bedarf.

            

 

 

CCA: Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Interview & Fotos: Klara Vakaj 





 

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