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Kultur.Diplomatie




23.09.2006  "Freiheit bedeutet eine persönliche kreative Machtkategorie"



CCA: Herr Direktor Gruša, wie geht es Ihnen als Autor und wie geht es Ihnen als Direktor der Diplomatischen Akademie? Bleibt für den Autor überhaupt noch Zeit?



GRUŠA: Das ist eine harte Frage. Als Direktor würde ich sagen, geht es mir gut. Als Autor würde ich sagen, geht es mir schlecht, denn man kann beides nicht gut kombinieren. Ich bin jetzt bemüht, die Dinge zu verbinden, in dem Sinne, dass ich wissenschaftlich schreibe. Ich schreibe nun öfter Reden oder Vorträge. Zuletzt hielt ich einen Vortrag über Beneš, daraus ist ein längerer Essay entstanden, er heißt „Beneš als Österreicher“.
Mit meinem eigenen Schreiben, also mit der Belletristik oder Poesie, hat das wenig zu tun, das muss ich zugeben. Und weil ich die Literatur für eine einheitliche Sünde halte, bin ich der Meinung, dass der da oben oder da unten - ich weiß nicht, wer das jetzt macht in dieser Welt - das belohnt und für gut befindet.

CCA: Aber es ist doch ein Zeichen, dass Sie als Schriftsteller zum Direktor ernannt wurden.

 

GRUŠA: Da haben Sie Recht. Ich bin eine seltsame Mischung, ich bin Autor und gleichzeitig der dienstälteste Botschafter nach der Implosion des Kommunismus in der Tschechischen Republik. Aber ich halte mich und werde für einen Literaten gehalten und bin damit ganz zufrieden.

 

CCA: Also ganz im Sinne Platons.

GRUŠA: In dem Sinne, ja. Das ist eine schöne Anspielung, denn obwohl er die Literaten gehasst hat – er wollte sie alle einsperren – hat er Philosophen gemocht. In diesem Sinne bin ich platonisch.

 

CCA: Also nicht nur Manager und Organisator, sondern Geistesmensch.
Welche Rolle würden Sie sagen, spielen Kunst und Kultur in der diplomatischen Welt und welche Rolle sollten sie spielen?

GRUŠA: Das ist keine leichte Frage. Erstens ist ja die Zeit der bürokratischen Diplomatie oder der rein machtpolitischen Diplomatie vorbei. Das bedeutet nicht, dass die Diplomaten die Interessen nicht vertreten, die sie zu vertreten haben. Das bedeutet jedoch, dass die guten Diplomaten, wie früher auch, die Fähigkeit, sich einzufühlen, die künstlerische Eigenschaft zu vermitteln, keine direkte Ambivalenz, kein Entweder-Oder, keine Manipulationen usw. betonen. Und dafür brauchen Sie eine künstlerische Begabung. Und deswegen sind die Philosophie, die Geschichte, wesentlich wichtiger als das früher, besonders im bürokratischen Bereich, der Fall war. Früher gab es nur Juristen usw. Die waren nicht schlecht, aber die neue Betonung der persönlichen Komplexität ist wichtig.

 

 

CCA: Es gibt jetzt auch in der Werbewirtschaft die Tendenz, immer mehr universale Fähigkeiten zu fordern. Wie zum Beispiel creative industries, was nichts anderes heißt als dass eben Manager nicht nur Managerfähigkeiten haben müssen, sondern eben auch diese künstlerischen und kreativen Einfühlungsskills.



GRUŠA: In der - nennen wir das jetzt Postmoderne oder wie Sie das genannt haben, creative industries - ist die Komplexität so gestiegen, dass Sie linear gar nicht verfahren können. Die Welt ist fraktaler geworden und die einzige Richtlinie ist: Es gibt nur angewandte Muster. Das, was Sie Kreativität genannt haben, bedeutet, dass man die Fähigkeit hat, sozusagen im chaotischen Leben von heute eine richtige Durchfahrt zu finden, wo es keine Ampeln gibt. Aber die Durchfahrt gibt es und das ist das Kreative, aber das gilt auch für den Alltag, nicht nur für die Diplomatie. Das gilt natürlich auch für die Politik. Globalisierung ist etwas, wo diese Fähigkeit auf eine urbane Kultur fällt, in der natürlich diese Fähigkeit, kommunikative Regeln zu vermitteln, kommunikative Regeln zu schaffen, immer wichtiger wird.
Man sieht das an den Konflikten von heute: Der Konflikt von heute ist ein Konflikt zwischen einer - auch politischen und militärisch - schon eingeordneten und der erst einzuordnenden Welt. Wenn Sie ein Buch haben, in dem alles steht, dann wissen Sie, wen Sie ermorden sollen.
Wenn Sie aber kein solches Buch haben oder viele Bücher, in denen Sie lesen müssen, dann richten Sie sich nach anderen Kriterien. Die „Freiheit“ bedeutet eine persönliche kreative Machtkategorie, nichts anderes.

 

CCA: Wie kann der Kulturbetrieb vom diplomatischen Betrieb lernen?

GRUŠA: Das ist nicht immer einfach. Wir sind spezielle Künstler. Aber natürlich ist es etwas anderes. Es bewerben sich bei uns viele kreative Studenten. Sie sprechen mindestens drei Sprachen. Das ist alles wichtig, aber wir erziehen keine Künstler, wir sind keine Kunstakademie in dem Sinne. Die Kunst ist eine andere, nämlich dass unsere Leute meistens in guten Positionen landen: Oft in den Abteilungen, die sich mit Kunst und Kultur beschäftigen, im Management.

 

CCA: Gehen wir etwas weg von der Person hin zum Kulturbetrieb, der ja auch gemanagt werden muss, Stichwort Vernetzung. Ich behaupte mal, da kann der Kulturbetrieb auch sehr viel lernen.

 

GRUŠA: Wenn Sie ins Außenministerium schauen, in die Abteilungen, die sich mit Kultur beschäftigen, finden Sie dort unsere Absolventen. Natürlich streben unsere Absolventen hohe Positionen in der Außenpolitik oder im Management an, auch im Ausland: Der brasilianische Außenminister ist unser Absolvent, Henry Kissinger hat hier gelehrt, Doderer ist unser Absolvent. Es ist eine lange Liste, eine lange Tradition.

 

 

CCA: Wie würden Sie den Austausch beschreiben? Inwieweit bringen die Studenten ihre Kultur hier her und inwieweit exportieren sie dann die österreichische Kultur?

 

GRUŠA: Unser großer Marktvorteil ist Wien als Kulturzentrum. Das zieht an. Wir haben einen Club der Absolventen und wir treffen uns mit ihnen alljährlich Wien. Die angewandte Sprache hier ist Englisch, aber ein Viertel ist deutschsprachig, die anderen sind hier, um ihr Deutsch zu verbessern. Sie besuchen auch die kulturellen Veranstaltungen, aber für ein gutes Konzert oder eine gute Oper brauchen Sie kein Deutsch und das wird sofort angenommen.

 

CCA: Eine persönliche Frage zum Abschluss. So wie es ein Zeichen war, dass Sie als Autor zum Direktor ernannt wurden, so war es auch ein Signal, dass Sie als Tscheche zum Direktor ernannt wurden?

 

GRUŠA: Ja. Aber ich bin ein seltsamer Tscheche, ich habe in Wien schon einen Stadtplatz, es gibt einen Gruschaplatz bei der Linzer Straße. Kardinal Gruša, vor hundert Jahren, war mein Urgroßvater. Ich bin also nicht nur Tscheche, ich bin auch Österreicher. Ich repräsentiere auch diese genetische Vernetzung.

 

CCA: Herr Direktor, wir danken sehr für das Gespräch.

 

Jiří Gruša:

Schriftsteller, Botschafter, Direktor. Tscheche, Österreicher, Deutscher, Weltenbürger. Es ist schwierig, Jiří Gruša einzuordnen. Er sieht sich als Schriftsteller, auch wenn ihn seine politischen Ämter oft nicht die Zeit zum Schreiben lassen, die er gerne hätte, er ist Tscheche mit deutscher Staatsbürgerschaft und österreichischen Vorfahren, aber als seine Heimat würde er wohl die Literatur bezeichnen.
Geboren 1938 in Pardubice (Böhmen), studierte er an der Prager Karlsuniversität Philosophie und Geschichte. Als Schriftsteller und Herausgeber der Zeitung "Tvár" legte er sich immer wieder mit dem kommunistischen System an. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 wurde er mit Berufsverbot belegt. Er war Unterzeichner der Charta 77 und wurde verhaftet. Heinrich Böll konnte seine Ausreise in die USA erwirken. Jiří Gruša wurde gegen seinen Willen ausgebürgert und nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an. Nach der Samtenen Revolution war er ab 1993 tschechischer Botschafter in Bonn und nach einem kurzen Intermezzo als Minister für Bildung, Jugend und Sport wurde er 1998 zum tschechischen Botschafter in Wien ernannt. Seine schriftstellerische Tätigkeit hat er in all den Jahren nie außer Acht gelassen, 2003 wurde er zum Präsidenten des Internationalen P.E.N.-Clubs gewählt. Seit 2005 ist er Direktor der Diplomatischen Akademie Wien.
Sein vielfach ausgezeichnetes Werk umfasst Romane, Erzählungen, Gedichte, Theaterstücke, aber auch ein Kinderbuch und Übersetzungen.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 





 

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