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Kultur.Diplomatie




14.05.2007  Alsergrund: Interview mit Martina Malyar, Bezirksvorsteherin



Martina Malyar (* 1959) ist seit 2003 Bezirksvorsteherin des 9. Wiener Gemeindebezirks. Im Zuge ihrer beruflichen Laufbahn war sie unter anderem im Unterrichtsministerium, im Wiener Landtag und im Wiener Gemeinderat tätig.

 

cca:

Der Nachbarbezirk Josefstadt hat es schon in eine Sitcom geschafft und spielt somit unter den Bezirken Wiens in der „Sitcomliga“. In welcher Liga spielt der 9. Bezirk?
 

Martina Malyar:

Der 9. Bezirk spielt überall, in allen Sparten, in allen Bereichen. Ich würde sagen vom Kasperltheater über Freifluftbühne, Stegreifspiele bis hin zur absoluten ersten Liga: der Hochkultur. Ja, wir spielen eigentlich überall. Wir haben zum Beispiel ein besonderes Kasperltheater, die Puppenbühne PfitschiPfeil, die wir auch aus Bezirksmitteln fördern. Die spielt im AKH für kranke Kinder, aber auch gesunde Kinder können hinkommen. Sehr oft sind kulturelle Initiativen im 9. Bezirk verbunden mit etwas Zweitem – einem sozialen Ansatz. Dabei denke ich auch an die Initiative „Hunger auf Kultur“. Die ist vom Schauspielhaus ausgegangen und jetzt gibt es Gottseidank schon viele Theater die mitmachen. Dieses soziale Anliegen ist für den 9. Bezirk wichtig, weil wir auch Flüchtlingshäuser bei uns haben und auch mehrere Flüchtlingswohnungen – zum Teil auch von Frau Ute Bock.

 
 

cca:

Ich kenne einige kulturelle Initiativen im 9. Bezirk und schätze diese sehr. Nur weiß ich auch, dass es für die Gruppen, Initiativen oder Künstler oft sehr schwierig ist, erstens überhaupt etwas aufzustellen und zweitens, wenn dann etwas aufgestellt ist, es auch weiterzuführen. Welchen Beitrag leistet da die Stadt Wien oder der Bezirk?

 

Martina Malyar:

Da muss man unterscheiden zwischen der Stadt und dem Bezirk. Seit ich Bezirksvorsteherin bin, das werden heuer im Sommer vier Jahre, haben wir das Bezirkskulturbudget von unter 40.000 Euro auf 60.000 Euro aufgestockt. Wir haben es also um 50 Prozent erhöht und das ist mir in Wirklichkeit noch zu wenig. Das ist jetzt nicht weil ich so ein guter Mensch bin, oder eine Kulturliebhaberin, sondern weil man mit Kultursubventionen letztlich auch die Wirtschaft fördert. Für mich bedeutet Kultursubvention finanzielle Mittel in die Hand nehmen für kulturelle Initiativen und damit gleichzeitig auch die Wirtschaft an der Basis fördern. Diese Subventionen sind ja nicht nur Futtermittel für den einzelnen Menschen, sondern da leben mittlerweile ganze Wirtschaftszweige davon. Wir haben in der Bezirkspolitik noch keine Spielregeln wie wir das Geld verteilen. Das ist ein Vorteil des Bezirks. Bei der Gemeinde ist alles viel starrer. Auf Bezirksebene möchte ich nur ungern die Möglichkeit aufgeben, kulturellen Initiativen möglichst schnell, flexibel und direkt zu helfen.
 

cca:

Das heißt Flexibilität ist einer der ureigensten Bezirksvorteile?

 
Martina Malyar:
So sehe ich das. Wenn meine Bezirksräte aber sagen, sie möchten Spielregeln aufstellen, Schwerpunkte setzen, dann ist da für mich die Flexibilität schon etwas eingeschränkt. Das ist
 

auch ein gangbarer Weg. Ich will nicht sagen, das eine ist gut, das andere ist schlecht. Vielleicht sollte man ausprobieren wie es ist. Aber ich sage auch deutlich, dass trotzdem eine Art Projekttopf wichtig ist, wo wir jederzeit zurückgreifen können und kurzfristig Projekte subventionieren können. Ein konkretes Beispiel: Vorige Woche waren bei mir Vertreter des Theater Experiments am Liechtenwerd. Das ist ein fünfzig Jahre altes Kellertheater, das durch die Theaterreform der Stadt Wien mittlerweile keine Subventionen mehr erhält. Ich habe sofort gesehen, da müssen wir schnell unter die Arme greifen und habe gleich von mir ein bisschen Geld gespendet. Am nächsten Tag bei der Bezirkssitzung haben wir darüber diskutiert und 2200 Euro sofort, aus dem Stand als Subvention zur Verfügung gestellt. Es ist ja immer diese Diskussion um Gießkannenprinzip oder Schwerpunktsetzung. Aber mit dieser Gießkanne und der dazugehörigen Flexibilität war es möglich, im 9. Bezirk von einem Tag auf den anderen 2200 Euro auf die Beine zu stellen. Für das Theater Experiment war das die Hilfe zum Weiterleben.

 

cca:

Wie steht es um Hilfe abseits finanzieller Unterstützung?
 
Martina Malyar:
Das ist bei uns natürlich ganz, ganz niedrig. Ich habe einen Presseverteiler, der sich mittlerweile über ganz Wien erstreckt. Jeder im Verteiler bekommt meinen Bauchladen und was er nicht will klickt er einfach weg und was für ihn interessant ist, fragt er nach und bringt dann vielleicht etwas. Das ist mir sehr viel wert. Da investiere ich auch sehr viel meiner persönlichen Arbeitszeit in das Sichtbarmachen kultureller Initiativen. Wichtig ist mir, Künstlerinnen und Künstler vor den Vorhang zu bitten und sichtbar zu machen. Bei mir im Haus gibt es zum Beispiel einen Festsaal, den ich, seit ich Bezirksvorsteherin bin, versuche als kulturelle Drehscheibe zu installieren. Ich habe dort ein Beleuchtungssystem und Schienen anbringen lassen, damit man professionelle Ausstellungen machen kann. Es gibt natürlich Bereiche, wo ich vielen und engen Kontakt habe und dann wieder welche, wo sich so ein Kontakt noch nicht ergeben hat. 
  
cca:
Gibt es Kontakte zu anderen Bezirken oder Städten?
 
Martina Malyar:
Wir haben zum Beispiel eine Partnerschaft mit einem Pekinger Bezirk. Das ist sozusagen der 1. Bezirk von Peking, die Innenstadt mit dem Tiananmen Platz und der Verbotenen Stadt. Diese Kooperation hat auch schon zu einem kulturellen Event geführt. Nämlich der Welturaufführung eines Musicals. Das Musical heißt TomTom und ist eine österreichisch-chinesische Koproduktion ausgehend vom Gymnasium Wasagasse und seiner Pekinger Partnerschule. Es wurde über tausende Kilometer Entfernung per Internet gemeinsam erarbeitet.  Am Ende sind die chinesischen Schüler hergekommen und haben es in der Lugner City uraufgeführt. Ein Monat später sind die österreichischen Kinder nach Peking geflogen und haben dort ebenfalls das Musical aufgeführt.  Es herrscht schon ein reger kultureller Austausch zwischen Peking und Wien, und hier vor allem über die Schülerinnen und Schüler. Das finde ich überhaupt grandios, diese direkte Begegnung miteinander.
 
cca:
Es gibt einige Botschaften und Kulturinstitute im 9. Bezirk. Wie steht es um den Kontakt zu diesen Institutionen?
 
Martina Malyar:
Ich werde zu kulturellen Veranstaltungen in den Botschaften oft eingeladen, aber der Kontakt ist nicht allzu eng. Ich würde sagen, eher sporadisch und anlassbezogen. Ich habe aber auch schon ein afghanisches Fest hier im Haus veranstaltet – ein karitatives Fest mit afghanischer Musik und Buffet zu Gunsten einer Mädchenschule in Afghanistan. Das Ausland und hier vor allem die EU sind mir sehr wichtige Themen. Die EU ist überhaupt ein Leib- und Hofthema von mir. Ich habe nach der letzten Wahl dafür eine eigene Kommission gegründet, die Kommission für Migration, Integration und EU-Angelegenheiten. Der 9. Bezirk war auch der erste Bezirk, der eine EU-Bezirksrätin installiert hat. Damit nehmen wir in Wien eine Vorreiterrolle ein. Ich möchte zeigen, dass die EU nicht irgendetwas ganz weit weg ist, mit dem wir nichts zu tun haben, sondern ein Angelpunk. In diesem Punkt finde ich in Michael Häupl einen Unterstützer, der auch die Wichtigkeit der EU auf Ebene der Kommunalpolitik erkannt hat.
 
cca:
 
Wie Sie wissen organisiert ConnectingCultureAustria am 9. Mai im Sigmund-Freud-Park ein performatives Kulturfrühstück unter dem Titel EatING migration. Was halten Sie von solchen Initiativen?
 
Martina Malyar:
Sehr viel! Wenn ich die Zeit hätte so etwas selbst zu organisieren, hätte ich schon längst ein Frühstück am PaN-Tisch gemacht. Eine Zeitlang war der Park von der Drogenszene und Großveranstaltungen in Beschlag genommen. Das habe ich aber gemeinsam mit der Polizei, der Stadt Wien und der Stadtregierung unterbunden. Ich genehmige dort zum Beispiel prinzipiell keine Europameisterschaftswände mehr. Das was ich genehmige sind kulturelle Veranstaltungen, die – um es mit einem englischen Wort zu sagen – smooth sind. Der Platz soll für die Menschen benützbar sein, ein Freiraum. Das Rathaus weiß auch, dass ich darauf achte, dass dieser Freiraum ein freiRaum bleiben soll. Denn wenn er das nicht mehr sein soll, dann müssen wir eine Flächenwidmungsplanänderung machen. Mir ist dieser freiRaum – im wahrsten Sinne des Wortes – auch ganz wichtig und deswegen finde ich das Kulturfrühstück auch großartig.
 
cca:
Das performative Kulturfrühstück EatING migration findet im europäischen Jahr der Chancengleichheit statt. Gibt es im 9. Bezirk kulturelle Initiativen dazu? Ist Chancengleichheit ein Thema für den 9. Bezirk?
 
Martina Malyar:
Ich weiß zwar, dass es das Jahr der Chancengleichheit ist, muss aber sagen, dass sich damit wenige Menschen wirklich bewusst beschäftigen. Wobei ich natürlich meine, man kann sehr viel an der Chancengleichheit aufhängen, wie zum Beispiel soziale oder wirtschaftliche Anliegen. In der Bezirkspolitik wird Chancengleichheit, wenn man sie jetzt als Barrierefreiheit
 
denkt, über jede Parteigrenze hinweg getragen. Bei uns ist beispielsweise eine Gehsteigsabsenkung weder rot, noch blau, noch grün – da gibt es einfach keine Diskussionen dazu. Bei der Planung von Gebäuden gibt es Forderungen, die man interessanterweise als Politikerin einbringen muss, wo ich mir denke, eigentlich müssten das die Fachleute von Haus aus schon einbringen. Das sind Forderungen wie: Gibt es Aufzüge und wie werden diese gewartet? Gibt es ein Blindenleitsystem? Gibt es Behindertenparkplätze? Chancengleichheit, -gerechtigkeit, Barrierefreiheit – jetzt im körperlichen aber auch im geistigen Sinn – das lebe ich! Das ist in mir, so wie Gender. Ich unterstütze zum Beispiel Kulturinitiativen wie die SOB 31 von Jugend am Werk. Wo behinderte Menschen sich künstlerisch ausdrücken. Die Initiative SOB 31 veranstaltet auch künstlerische Sommerakademien und im Anschluss haben die behinderten Künstler immer

die Möglichkeit im Festsaal der Bezirksvorstehung ihre Werke zu präsentieren. Ich habe da überhaupt keine Berührungsängste und bei anderen sieht man, man kann diese auch abbauen. Am Anfang ist man vielleicht etwas überrascht, aber mit der Zeit wird einem klar, diese Menschen sind genauso wie wir. Das muss man erleben. Für mich ist das viel wichtiger als irgendein starres, ideologisches Programm.

 

cca:

Vielen Dank für das Gespräch.

 
 
Interviewer: (jog) & (ruw)
Fotos: (ruw)
 
Weiterführende Informationen:
 
 
 
 




 

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