Frankreich – Italien – Österreich – Ungarn – Deutschland: Vier von beinahe 40 Nationen, die sich unerbittliche Kämpfe lieferten. 100 Jahre danach verbindet sie Friede. KulturDiplomatMagazin begab sich auf eine gedankliche Reise in die damals umkämpften Regionen...
„Im Februar 1915 bekam ich den bekannten roten Zettel zugestellt, der mir anzeigte, dass mich das Vaterland nun ebenfalls benötigte.“ schrieb der deutsche Josef Hersam in seinem Kriegstagebuch. Er war 28 Jahre und überlebte die Kämpfe an der West-, Süd- und Ostfront. Drei Jahre später hoffte er: „Nie wieder Krieg!“, doch diese Hoffnung hielt nur 20 Jahre. Dann wurde Josef zum Zweiten Weltkrieg einberufen.
100 Jahre danach verrät der erste Blick über die Südfront, die Dolomiten, nur wenig über den Wahnsinn, der sich hier abgespielt hat: Saftig grüne Wiesen, reinste Luft auf 3100 Metern Seehöhe und beängstigende Stille der rauen Felsen. Drei Jahre lang bekämpften sich Italiener und Österreicher an der Alpenfront. Bis zu 180.000 Soldaten mussten in einem brutalen Stellungskrieg ihr Leben lassen. Der zweite Blick auf die Zinken und Täler der Gebirgskette lässt noch heute die einstige Brutalität, die sich hier abspielte, erkennen. Tunnel und Stollen bis tief ins Berginnere, Einschlaglöcher der Granaten und Schützengräben lassen die Schönheit der Dolomiten schnell erfrieren.
Am 23. Mai 1915 erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg. Italien war ursprünglich Mitglied des Dreibundes mit Österreich-Ungarn und Deutschland. Aus wirtschaftlichen und strategischen Gründen schloss sich Italien dennoch den Entente Mächten an und wurde somit zum Feind Österreich-Ungarns. Die Bewohner der Gebiete Südtirol, Trentino, Trieste und Friaul traf die Kriegserklärung besonders hart. Diese Provinzen wurden im Laufe der Geschichte immer wieder entweder von Österreich-Ungarn oder Italien besetzt. Die Verbundenheit der Völker war dementsprechend eng.
Foto: Dolomiten und der Ausblick über Cortina d'Ampezzo. Credit: D J Brandion.
„Krieg. Diese Nachricht verwandelte unsere Familie zu Feinden.“
Dieser Satz stammt aus dem österreichischen Film Der stille Berg von Regisseur Ernst Gossner, der Anfang des Jahres 2014 veröffentlicht wurde und seither weltweit die Schrecken des 1. Weltkrieg in Erinnung ruf:Die junge Liebe eines österreichischen Hotelierssohn und einer temperamentvollen Italienerin wird zu Zeiten des brutalen Krieges an der Alpenfront auf die Probe gestellt. Sie heiraten an jenem Tag, als Italien Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. Freunde werden zu Feinden, Familien werden zerrissen, Frauen und Kinder verlieren Mann und Vater. Der Stille Berg zeigt nicht nur, welche Opfer die Menschen in Zeiten des Ersten Weltkrieges auf sich nehmen mussten, sondern auch die Brutalität und die gnadenlosen Bedingungen des Stellungskrieges. Viele Szenen wurden in den noch heute erhaltenen Schützengräben oder auf den einstigen Schlachtfeldern gedreht.
Doch der Film lässt nur erahnen, welche Horrorszenarien die Soldaten vor 100 Jahren auf den Gipfeln der Dolomiten ertragen mussten. Es war nicht nur die ständige Angst vor den feindlichen Soldaten und Granaten. Es war der unberechenbare Feind Natur und der ständige Blick in den Abgrund.
Cortina d’Ampezzo: Ein Mahnmahl des Krieges in den Dolomiten
Der Irrsinn der menschlichen Kriegsführung thront hoch über einem Ort, an dem die Kontroverse nicht größer sein könnte. Cortina d’Ampezzo ist ein nur 6.000 Einwohner großer Ort, der sich mit Attributen wie „Perle der Dolomiten“ oder „Königin der Alpen“ schmücken darf. Ende des 19. Jahrhunderts trafen sich Kaiser und Könige in Cortina, um dort die herrliche Landschaft der Dolomiten zu genießen. Die goldene Zeit der Sommerfrische fand mit dem Attentat von Sarajevo auf den Thronfolger Franz Ferdinand ein abruptes Ende. Die einstige „Perle“ wurde zu einem traurigen Schauplatz des Gemetzels zwischen den Länderfronten.
Heute hat der Ort wieder zum Ruhm und Glanz von damals zurückgefunden, aber die grausamen Erlebnisse sind mit der Geschichte des Ortes unumgänglich verbunden. Im Gebiet um Cortina d’Ampezzo liegen 38 Soldatenfriedhöfe, originale Schützengräben und die Überreste der noch erhaltenen Soldatenbaracken sind ein Mahnmahl des Krieges. Cortina d’Ampezzo erinnert an diese grausame Zeit mit einigen Initiativen.
Fotos: Soldatenbunker und Schützengraben in den Dolomiten. Credit: StefanoZardini.com
Wanderungen des Erinnerns in Cortina
Das Projekt „Auf den Spuren des großen Krieges 100 Jahre danach“ bietet geführte Wanderungen über die damaligen Versorgungswege, Besichtigungen der Schützengräben oder einen Abend in einer Soldatenbaracke. Eine anspruchsvolle Gebirgswanderung über die Pfade der österreich-ungarischen Kaiserjäger oder ein Besuch im weitläufigsten Freilichtmuseum des Ersten Weltkrieges geben Einblick in die schrecklichen Gesichter an der österreich-Italienischen Alpenfront. Geschichtliche Aufarbeitung in Form von touristischen Angeboten ist ein sehr gewagtes Projekt. Aber dennoch ist es sehr wichtig für die beteiligten Nationen, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auch auf die unbekannten Seiten des Krieges zu lenken und die Millionen Menschenleben, die der Krieg gefordert hat zu ehren.
Schauplatzwechsel: „Der Berg des Todes“ im französischen Elsass
Die Berge waren nicht nur den Italienern und Österreichern zum Verhängnis geworden. Die Vogesen im französischen Elsass wurden zum Kriegsschauplatz zwischen den zwei Erzfeinden Frankreich und Deutschland. Am 3. August 1914 erklärt Deutschland Frankreich den Krieg. Das Ausmaß, das der „Grand Guerre“ in den 223 Wochen bis zum Waffenstillstand am 11. November 1918 nahm, ahnte zu Kriegsbeginn niemand. Die zwei Nationen Deutschland und Frankreich begegneten sich am Schlachtfeld als Erzfeinde. Getrieben von bedingungslosen Nationalstolz mobilisierten beide Nationen ihre Truppen und die Bergkuppe Hartmannsweilerkopf in den Südvogesen wurde zur deutsch-französischen Front. Die Kämpfe am Hartmannsweilerkopf waren von extremer Brutalität gezeichnet. Die Soldaten nannten den Berg „Menschenfresser“ oder „Berg des Todes“, denn die Schlachten forderten von beiden Nationen einen hohen Blutzoll. 20.000 bis 30.000 Soldaten mussten auf diesem Gipfel ihr Leben für Deutschland und Frankreich lassen. Soldaten, die nicht getötet wurden oder den Kriegsverletzungen erlagen, wurden von Typhus und Cholera dahingerafft. Einen Sieger gab es an dieser Front nicht.
Eineinhalb Jahre bekämpften sich deutsche und französische Soldaten in einem gnadenlosen Stellungskampf. Der Berg im Elsass gehörte zu Beginn des „Grande Guerre“ zum deutschen Kaiserreich am Ende zu Frankreich, aber die Kontrolle über dieses Gebiet wechselte im Zuge der Kämpfe acht Mal die Nation.
„Drei Tage lang lagen wir in den Granatlöchern, dem Tod ins Auge sehend, ihn jeden Augenblick erwartend. Dazu kein Tropfen Wasser und der entsetzliche Leichengestank. Die eine Granate begräbt die Toten, die andere reißt sie wieder heraus. Will man sich eingraben, kommt man gleich auf Tote. Ich hatte eine Gruppe, doch gebetet hat jeder für sich…“ Schrieb der Gefreite Karl Fritz aus einem Schützengraben an der Deutsch-Französischen Grenze.
Fotos: Bergkuppe Hartmannsweilerkopf im französischen Elsass. Credti: Bernhard Naegelen; JL Delpal.
Ein Museeum als Zeichen der Aussöhnung
Wo vor 100 Jahren unerbittliche Kämpfe zwischen Erzfeinden ausgetragen wurden, reichten sich der deutsche und französische Präsident Joachim Gauck und Francois Hollande am 3. August 2014 die Hand zur Aussöhnung. Die gemeinsamen Feierlichkeiten am ehemaligen Kriegsschauplatz sind der Grundstein für ein grenzübergreifendes Projekt. 2017 soll am Hartmannsweilerkopf in den Südvogesen ein Museum für die deutsch-französische Freundschaft eröffnet werden. Das erste gemeinsame Museum als Gedenkstätte des Ersten Weltkriegs ist „ein Leuchtturmprojekt der deutsch-französischen Freundschaft“, wie es die Initiatoren beschreiben. Auf französischer Seite gibt es bereits seit 1921 eine Gedenkstätte, wo die unterirdischen Gänge, die Hälfte der rund 6.000 erbauten Bunker und die Schützengräben besichtigt werden können. Am Fuße des Hartmannsweilerkopf liegt ein deutscher Soldatenfriedhof, wo 7085 deutsche Opfer begraben liegen.
Für die heutigen Generationen scheint der Erste Weltkrieg zu lange her, um wirklich zu begreifen, was damals geschah. „Urkatastrophe“, „The Great War“ oder „La Grande Guerre“, der Erste Weltkrieg trägt viele Namen: Eine Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte hat nicht an Aktualität verloren und ein Besuch der Regionen, in denen die Kämpfe ihren Höhepunkt erreichten, ist ein Weg des Erinnerns.
Beitrag: Marlene Kurzmann
Foto: Westfront zwischen Frankreich und Deutschland. Credit: Haute-Alsace Tourisme.