Logo              HOME   |   Das.Projekt   |   Support.Us   |   Projekt.Shop   |   Redaktion   |   Impressum
            News.Events  |  Editors.Choice  |  Streif.Züge  |  Kultur.Diplomatie
 
 
Kultur.Diplomatie




22.12.2007  Bulgarisches Forschungsinstitut: Mag. Antoaneta Tcholakova / INTERVIEW



Mag. Antoaneta Tcholakova ist die Direktorin des Bulgarischen Forschungsinstituts in Österreich/Verein "Freunde des Hauses Wittgenstein". Sie lebt und arbeitet seit den frühen 1990er Jahren in Wien. Das von ihr geleitete Institut ist nicht nur aufgrund der exzellenten Veranstaltungen einen Besuch wert, vielmehr kann der architektonisch interessierte Besucher sich überdies am einzigartigen Veranstaltungsort - dem Haus Wittgenstein - erfreuen.
 
cca: Wie wird man Direktorin des Bulgarischen Forschungsinstituts?
 
Antoaneta Tcholakova:
Mein Studium der Geschichtswissenschaft und Englisch habe ich in Bulgarien an der Universität Sofia absolviert. Im Anschluss war ich am Institut für Sozialgeschichte angestellt. In meinem Studium und späterer Arbeit habe ich mich auf die Geschichte der Balkanvölker spezialisiert und entsprechende Artikel publiziert,  z.B. über die diplomatischen Beziehungen am Ende des 19. Jahrhunderts oder die Nationalitätenfrage auf dem Balkan. Gerade an der Nationalitätenfrage, die im Gefolge des 1. Weltkrieges evident geworden ist,  sieht man, wie solche Konflikte bis heute nachwirken können. Privat hat sich um 1990 sehr viel verändert. Als mein Mann die Möglichkeit bekam beruflich nach Wien zu wechseln, sind wir mit unseren  zwei Kindern übersiedelt. 1992 habe ich meine Arbeit im Bulgarischen Forschungsinstitut begonnen. Damals gab es inklusive mir nur vier Mitarbeiter und bis heute ist das Institut eine sehr kleine Einrichtung mit begrenzten finanziellen und wissenschaftlichen Kapazitäten. Unser Veranstaltungsprogramm ist aber vielfältig und umfangreich: wissenschaftliche Vorträge im Rahmen von „Lectorium Bulgaricum“, Konferenzen und Podiumsdiskussionen, Publikationen in unserer Reihe „Miscellanea Bulgarica“ und in den „Mitteilungen des BFIÖ“ sowie Lesungen. Wir haben sogar eine kleine Bibliothek mit Büchern über die bulgarische Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaft, Kultur, Wirtschaft, Politikwissenschaft, die von Diplomanten, Doktoranden und Kollegen benutzt wird. Ich leite das Institut seit Jahr 2000, und versuche thematisch und dieses Programm noch interessanter zu gestalten.
 
cca: Was sind die Aufgaben des Forschungsinstituts?
 
Antoaneta Tcholakova:
Das Institut bzw. eigentlich der Verein "Freunde des Hauses Wittgenstein" wurde 1978 gegründet. In den Vereinsstatuten sind drei wichtige Ziele angeführt: die Förderung der bulgarisch-österreichischen Beziehungen in den Bereichen Kultur und Wissenschaft, das unter Schutz gestellte architektonische Denkmal Haus Wittgenstein der Öffentlichkeit durch entsprechende Veranstaltungen vertraut zu machen sowie die Gründung des Bulgarischen Forschungsinstituts. Nächstes Jahr feiern wir das dreißigjährige Jubiläum des Vereins. Es ist wirklich bewundernswert, wie der Verein und das Institut unter den häufig komplizierten Bedingungen all die Jahre meistern konnten - besonders Anfang der 1990er Jahre war es oft schwierig. Die wirtschaftliche Basisfinanzierung erbringt der bulgarische Staat. Alle anderen Veranstaltungen und Publikationen müssen wir separat als Projekte einreichen.
 
cca: Das heißt, der das Institut ist bei den zahlreichen Veranstaltungen auch auf die Kooperation mit österreichischen und ausländischen Partnern angewiesen?
 
Antoaneta Tcholakova:
Wir arbeiten mit verschiedenen Partnern zusammen, da sonst die Finanzierung nur schwer bis gar nicht möglich wäre. Wir bemühen uns, unsere Tagungen international auszurichten, aber genau bei solchen großen Tagungen und Symposien ist die Zusammenarbeit mit österreichischen Institutionen unabdingbar. Dieses Jahr haben wir z. B. sehr gut mit der österreichisch-rumänischen Gesellschaft zusammengearbeitet. Einmal im April bei einer Podiumsdiskussion und jetzt im November bei einer großen internationalen Tagung. Dieses Jahr hatten wir außerdem mit dem russischen Kulturinstitut bei dem Forum „Europäische Regionen im Wandel“, in dem wir die bulgarische Region Pleven vorgestellt haben, sehr gut kooperiert. Dieser Ort hat eine besondere Bedeutung hinsichtlich des russisch-türkischen Befreiungskrieges für Bulgarien. Auch die Kooperation mit ARGE Donauländer und dem Land Niederösterreich ist für uns ein wichtiger Punkt. So konnten wir z. B. im Jahr 2005 eine gemeinsame Ausstellung bulgarischer und österreichischer Künstler und eine Tagung zu Elias Canetti organisieren, und in diesem Jahr bei der Präsentation von der Region Pleven (einem Mitglied der ARGE Donauländer) und bei der großen internationalen Konferenz „Der Donaulimes in der Spätantike und im Frühmittelalter“ ausgezeichnet zusammenarbeiten . Aber auch die Kooperation mit der Universität Wien ist für uns ausgesprochen wichtig. So arbeiten wir z.B. mit dem Institut für österreichische Geschichtsforschung, dem Institut für Philosophie, dem Institut für Publizistik, dem Institut für Slawistik und dem Institut für Politikwissenschaft zu verschiedenen Anlässen und Themen zusammen. Aus der Kooperation mit den Publizistikinstituten der Sofioter und der Wiener Universität ist das Kommunikationsforum Sofia-Wien entstanden, das seit 2004 einmal im Jahr in Wien und einmal in Sofia stattfindet. Zum dritten Mal in Kooperation mit dem Institut für Philosophie hatten wir im Mai dieses Jahres eine internationale Konferenz über die Philosophie von Wittgenstein. Besonders wichtig ist die Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bei der Durchführung von Tagungen und gemeinsamen wissenschaftlichen Projekten. Wir sind oft die direkte Verbindung zwischen den Akademien der Wissenschaften von Österreich und Bulgarien.
 
cca: Planen Sie zum dreißigjährigen Jubiläum spezielle Veranstaltungen?
 
Antoaneta Tcholakova:
Auch das Haus Wittgenstein hat nächstes Jahr sein achtzigjähriges Jubiläum und deshalb wollen wir diese beiden Ereignisse verbinden. Zusammen mit dem Bulgarischen Kulturinstitut, das ebenfalls im Haus Wittgenstein untergebracht ist, und zu dem wir in einer engen Beziehung stehen, haben wir eine interessante Ausstellung in Vorbereitung. Die Ausstellung wird aus zwei Teilen bestehen. Einerseits ein Dokumentarteil über das Haus Wittgenstein, andererseits eine Kunstausstellung mit Texten und Gegenständen von Ludwig Wittgenstein. Besondere Beachtung wird dabei auch der Geschichte des Hauses ab den 1970er Jahren zukommen. Dieses Haus wurde in den fast achtzig Jahren seines Bestehens eigentlich zweimal errichtet: das erste Mal, im Jahr 1928, von Österreichern als Wohnhaus, und als kultureller Treffpunkt geplant und gebaut, das zweite Mal von Bulgarien, im Jahr 1975 in einem desolaten zustand gekauft, renoviert, revitalisiert, teilweise erweitert und einer Vertiefung der bestehenden wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit beider Länder gewidmet.
Die Ausstellung wird im Juni eröffnet und für drei Monate im Haus bleiben. Wir hoffen durch die gleichzeitig stattfindende Fußballeuropameisterschaft, auf ein reges Interesse an der Ausstellung. Für die Verwirklichung dieses Projektes suchen wir auch Sponsoren und würden uns auf jede Unterstützung freuen.
Im April 2008 planen wir wieder im Rahmen des Forums „Europäische Regionen im Wandel“ die Präsentation der bulgarischen Region Kazanlăk, die  sich im weltbekannten Rosental und im Tal der Thrakerkönige befindet, und im Oktober eine wissenschaftliche  Tagung zu 100 Jahre Unabhängigkeit Bulgariens – ein historischer Akt, der sehr stark mit der Anexionskrise 1908 und der österreichischen Geschichte verbunden ist.
 
cca: Wie gestaltet sich wissenschaftliche Arbeit in solch einem geschichtsträchtigen Ort? Gibt es Ausstellungsbesucher und Veranstaltungsteilnehmer die gezielt wegen dem Haus Wittgenstein kommen?
 
Antoaneta Tcholakova:
Ich kenne Künstler, die gerade wegen dem Haus eine Ausstellung veranstalten wollen. Vor allem Künstler und Architekten besuchen uns aufgrund des Hauses. Wenn man sich mit der Philosophie Wittgensteins beschäftigt, dann versteht man auch das Haus Wittgenstein besser. Ludwig Wittgenstein hat die gesamte Innenausstattung des Haus selbst entworfen und generell ist alles sehr durchdacht. Denn das Haus ist der architektonische Niederschlag seiner Philosophie.
Es gibt sicherlich Besucher, die eine Art von Synergieeffekt erzielen wollen: einerseits besuchen sie eine Ausstellung oder Veranstaltung und nebenbei können sie auch das Haus Wittgenstein bewundern. Generell würde ich aber sagen, dass die meisten Besucher, die aufgrund unserer Veranstaltungen kommen, wenig bis gar nichts über die Geschichte des Hauses wissen. Wenn sie dann von der Geschichte des Hauses erfahren, sind sie sehr überrascht und interessiert.
 
cca: Vor und besonders in den 1990er Jahren sind viele Menschen aus Bulgarien ausgewandert - auch viele Intellektuelle wie Sie. Sehen Sie diese Tendenz gestoppt? 
 
Antoaneta Tcholakova:
Viele junge Bulgaren die im Ausland studiert und gelebt haben, kehren nach einigen Jahren wieder nach Bulgarien zurück. Es gibt für sie in Bulgarien heute wesentlich bessere berufliche Möglichkeiten als noch vor einigen Jahren. In Sofia gibt es hochqualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze für junge Menschen. Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen es schwieriger ist am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen - allen voran die Naturwissenschaften, wie z. B. Physik. Mikrobiologie. Wissenschaftler aus solchen Bereichen gehen meist nach Europa oder in die USA, wo die Nachfrage an solchen Fachkräften ungleich höher ist.
 
cca: Es gibt in Wien auch einen Bulgarisch-Österreichische Studentenklub. Wie steht das von Ihnen geleitete Institut damit in Verbindung?
 
Antoaneta Tcholakova:
Der Bulgarisch-Österreichische Studentenklub ist mit uns direkt verbunden. Die Idee war, dass die Studenten mit unserer Unterstützung Projekte machen. Eines dieser Projekte waren z. B. die vielen Deutschkurse, in denen sich die Studenten mit der neuen deutschen Rechtschreibung auseinandersetzten. Fixe gemeinsame Termine sind die zweimal pro Jahr stattfindenden Konzerte „Junge Musiker in Wien“. Zusätzlich gibt es auch noch eine Lesereihe, bei der Bulgarien literarisch vorgestellt wird. Im „Lectorium Bulgaricum“ werden Diplom- und Doktorarbeiten mit Bezug auf Bulgarien präsentiert.
 
cca: Gegeben den Fall, Sie hätten ein größeres Budget. Welche Projekte würden Sie verstärkt fördern?
 
Antoaneta Tcholakova:
Sicherlich mehr Publikationen in unserer Reihe „Miscellanea Bulgarica“ denn auf diese Weise kann man sehr viel vermitteln. Was ich auch gerne verstärkt machen würde, sind Seminare, mit eher praktischer Ausrichtung. D. h. Seminare, in denen die Teilnehmer aus Bulgarien und Österreich konkrete praktische Erfahrungen austauschen können und auf diese Weise davon auch profitieren können. Es ist nämlich wichtig, dass man nicht nur über Dinge liest oder sie erzählt bekommt, sondern auch dass man mit den Leuten darüber spricht und sie es selbst sehen. Gerade im Bereich der Landwirtschaft und der Erhaltung des kulturellen Erbes könnte ich mir solche Seminare sehr gewinnbringend vorstellen. Die Ziele und die Tätigkeit  unseres Instituts sind  übernational, und werden immer ein lebendiges verbindendes Glied zwischen Bulgarien und Österreich sein.
 
Interviewer: (ruw)
Fotos: (ruw)
 
Weiterführende Informationen:




 

Zur Übersicht