CCA: Sie waren am 27. August bei der Eröffnungsdiskussion der „Alpbacher politischen Gespräche“, bei der es um Europas Rolle als globaler Akteur ging. Dabei kamen auch die unterschiedlichen politischen Strategien der EU im Vergleich mit den USA zur Sprache. Wie beurteilen Sie die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und Amerika aus Ihrer politischen Arbeit heraus?
Dr. Hannes Swoboda: Ich glaube, dass die Geschichte Europas und die Geschichte Amerikas in der heutigen Politik und Kultur zum Ausdruck kommen.
Amerika ist ein Land, das als „freies Land“ entstanden ist. Natürlich war es nicht frei, aber es konnte damals relativ leicht die Ureinwohner, die Indianer, etc. auf die Seite drängen. Diese Pionieridee wird auch heute noch oft zum Ausdruck gebracht. Wenn die USA Demokratie bringen wollen, dann bringen sie Demokratie. Dann gehen sie an Land, und sei es notfalls militärisch, wie im Irak, und gehen ihren Weg.
Europa ist naturgemäß gesplitterter, es setzt sich aus vielen verschiedenen Teilen zusammen, die alle ihre eigene Geschichte haben - zum Teil auch eine Geschichte gegeneinander. Und das ist auch mühsam. Europa ist zudem geläutert von den Situationen seiner Vergangenheit, insbesondere des vergangenen Jahrhunderts, der zwei Weltkriege. Aus diesem Grund hat es auch nicht diesen Optimismus und diese Illusionen, was die Durchsetzung der gesellschaftlichen oder auch kulturellen Werte betrifft.
Insofern sind schon aus der jeweiligen Geschichte heraus in der generellen Grundeinstellung der USA und Europas Unterschiede gegeben. Dennoch gibt es aus meiner Sicht auch einige Parallelitäten, insbesondere was die Werthaltung betrifft, wobei es sich im Großen und Ganzen um universelle Werte handelt. Ein spezifisch europäischer Wert ist etwa der Kampf gegen die Todesstrafe. Aber viele andere Aspekte wie die Grund- und Freiheitsrechte sind im Kern ihrer Substanz universelle Werte. Andernfalls hätten wir auch gar nicht das Recht, diese Werte automatisch anderen Leuten „aufzudrücken“.
CCA: Die europäische Integration war die Antwort der europäischen Völker auf Krieg und Zerstörung in vergangenen Jahrhunderten. Es entstand etwas, das wir als eine neue Kultur des Zusammenlebens verstehen können. Wie erleben Sie im Europäischen Parlament diese „Kultur des Zusammenlebens“ im Vergleich zu Ihrer Arbeit vor dem österreichischen EU-Beitritt?
Dr. Hannes Swoboda: Einerseits sind im Europäischen Parlament sehr unterschiedliche Länder und Kulturen vertreten. Andererseits gibt es aber auch jenseits der politischen Fraktionen eine gewisse Gemeinsamkeit hinsichtlich des Interesses, ein neues Europa aufzubauen. Es bestehen zwar einige politische Unterschiede, etwa in sozialen Fragen – das wird natürlich nicht in jeder Fraktion gleich behandelt. Auch mit der Geschichte gibt es einen unterschiedlichen Umgang, etwa dahingehend, ob man aus Ländern kommt, die nie kommunistische Diktaturen kennengelernt haben, sondern nur den Fasischmus.
Das verbindende Grundelement ist aber zweifellos das Interesse, etwas Neues aufzubauen und daher nicht in der Routine einer politischen Auseinandersetzung zu erstarren. Die Arbeit ist sachlicher orientiert und, was wesentlich ist: Man nimmt im großen und ganzen Rücksicht auf die Interessen des anderen. Denn man ist sich im Klaren darüber, dass etwas Gemeinsames nur geschaffen werden kann, wenn es im Kern von anderen respektiert wird. Und die anderen können das wiederum nur akzeptieren, wenn sich die Mehrzahl der Länder und der VertreterInnen repräsentiert bzw. respektiert fühlt.
Leider wird dieser Grundkonsens in letzter Zeit durch nationalistische Strömungen, wie sie sowohl im Westen, etwa in Frankreich und Österreich, als auch vielleicht etwas stärker in den neuen Ländern wie Polen, Bulgarien und Rumänien zum Ausdruck kommen, ein bisschen in Frage gestellt. Und leider werden zunehmend Töne ins Europäische Parlament getragen, die das nationalistische und egoistische Interesse stärker in den Vordergrund rücken als das europäische.
CCA: Die Frage der Grenzen und deren Bewältigung hängt davon ab, dass wir statt des Vorurteils ein Urteil fällen können. Heute werden unsere Urteile, oder mehr noch, unsere Vorurteile, sehr stark medial geprägt. Welchen Einfluss können Sie selbst aus Brüssel auf die mediale Situation in Österreich, Europa und die EU betreffend ausüben, und was würden Sie sich im Vergleich dazu wünschen? Kann Kultur in diesem Spannungsfeld ein Vermittler sein?
Dr. Swoboda: Ich muss ehrlich sagen, dass unsere Einflussmöglichkeiten sehr begrenzt sind. Zudem ist die mediale Situation, gerade in Österreich, aber nicht nur hier, nicht von den übergeordneten Werten geprägt, sondern verteidigt das nationale Interesse. Wenn wir die jüngsten Diskussionen zur Frage der Zuwanderung oder der Migration, zum Teil auch des Islam bzw. der Rechte der islamischen Bevölkerung, beobachten, dann spiegelt sich die gesamteuropäische Friedens- bzw. Toleranzsicht nur sehr gering wieder.
Dennoch glaube ich, dass man sehr wohl begrenzte Aufmerksamkeit bekommt, und dass das auch sehr wichtig ist – insbesondere deshalb, weil viele junge Menschen aktiv sind, die keine entsprechenden Erfahrungen haben. Erfahrungen, die man nicht selbst gemacht hat oder zumindest aus Erzählungen von den Eltern und Großeltern kennenlernt, sind oft sehr schwer vermittelbar. Insofern ist der kulturelle Anspruch im Sinne eines weiten, offenen, toleranten Anspruchs an kulturelle Unterschiede und an die Kultur des menschlichen Lebens heranzugehen, zweifellos sehr groß. Und er ist ausschlaggebend für die junge Generation.
CCA: Stichwort - gegenseitiger Respekt: Europa als „kulturelle Identität“ in unseren Köpfen: Ist die Europäische Union ein Garant dafür, dass wir neben unserer österreichischen Identität auch eine europäische entwickeln? Wenn ja, warum oder wie könnte man das sozusagen anschieben?
Dr. Swoboda: Garant oder Garantien gibt es in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht nicht, und das muss man zur Kenntnis nehmen. Es ist immer eine Auseinandersetzung, ein Kampf. Ich bin überzeugt: Es ist nichts selbstverständlich und nichts automatisch, wenn es um die Schaffung von europäischen Werten geht.
Trotzdem, die Vielfalt wird ohne Zweifel manchmal übertrieben. Manchmal werden österreichische, britische oder sonstige Interessen bzw. spezifische Merkmale unterstrichen und als Besonderheiten dargestellt. Das besondere an der österreichischen Kultur ist etwas, wenn man so will, das im eigenen Land nicht immer von allen geteilt wird.
Ein ganz wichtiger Aspekt ist für mich, dass in Wirklichkeit ohnehin zwei gegenläufige, aber gleichzeitig verlaufende Prozesse stattfinden. Zum einen ist das eine gewisse Tendenz zur Universalität. Zum anderen muss man aufpassen, dass die Betonung des Besonderen im Eigenständigen nicht als unüberbrückbarer Gegensatz gesehen wird. Das zeigt sich beispielsweise auf dem Gebiet der Religionen. Ein Teil der islamistischen Steuerung hängt damit zusammen, dass man eben ein Gegengewicht gegenüber der Welt sehen bzw. betonen möchte.
Und so ist es natürlich auch in den einzelnen Zonen innerhalb Europas. Europa lebt zweifellos von der Vielfalt, das ist absolut klar. Europa lebt aber gleichzeitig von der Betonung europäischer Werte, wie ich bereits erwähnt habe. Nur solche europäischen Werte schaffen auch Identität, nämlich europäische Identität zusätzlich zur nationalen Identität. Der Kampf gegen die Todesstrafe, der vorsichtige Umgang mit Konflikten, die Zurückhaltung gegenüber dem Militärischen und viele andere Aspekte sind zumindest europäische Ausformungen, vielleicht auch universeller Wert der Kulturerscheinungen. Gäbe es das nicht, könnte man Europa nicht bauen. Man würde immer nur die nationalen oder regionalen Elemente betonen, aber nicht das gemeinsam Europäische.
CCA: Ich erlaube mir zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Ich glaube aus ihrer Biographie zu entnehmen, dass sie z.B. italienische Küche schätzen. Kann man das als Vorliebe zum italienischen Nachbarn werten?
Dr. Swoboda: Die Küche ist eher ein Hinweis auf einen zu großen Appetit. Aber es stimmt schon: In Italien, ebenso wie etwa in Spanien, gibt es jenseits der nationalen italienischen Identität sehr unterschiedliche Regionen und Städte. Städte, die es – wahrscheinlich ziemlich einmalig in Europa – doch immer wieder verstanden haben, ihren Kern zu bewahren.
Italien ist aus meiner Sicht ganz generell ein Land, das es trotz seiner verschiedenen politischen Krisen verstanden hat, seine Kultur, seinen Städtebau, seine Architektur zu erhalten und dennoch aufgeschlossen für moderne Architektur und modernes Design zu sein. Das ist für mich in Italien wesentlich besser gelungen als in vielen anderen Ländern. Sei es die Erhaltung von Städten wie Siena, aber auch vielen kleineren Städte, die nicht konservativ und altbacken wirken, sondern im Dialog mit moderner Architektur und moderner Stadtentwicklung stehen.
Dieses Prinzip gilt auch für die Speisen. Nudeln sind meines Wissens keine italienische Erfindung, sie wurden angeblich von Marco Polo aus China eingeführt. Und das Wiener Schnitzel hat eine quer durch Europa führende Reise gemacht hat. Küchen bzw. Essen generell schaffen in diesem Sinn für mich ebenfalls eine Identität – sie sind aber eigentlich nie bzw. ausschließlich aus der lokalen Situation heraus erklärbar.
ConnectingCultureAustria dankt für dieses Gespräch.
PB / WS
Fotocredits: pb 2007