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30.08.2014  Das Musikzimmer als Kulturphänomen – ein Gespräch mit Cathy Heller



2005 griff Dietrich Dietrichsen das Phänomen Musikzimmer in seiner Publikation "Das Musikzimmer- Avantgarde und Alltag" auf – reagierte der deutsche Kulturphilosoph und Poptheoretiker auch auf eine Renaissance?

 

Ich habe dieses Buch nicht gelesen. Soweit ich weiß, stellt Diedrich Diederichsen aber den Zusammenhang zwischen dem Leben des Einzelnen mit der Pop-Musik in den Mittelpunkt seiner Analyse. Bei ihm geht das Musikzimmer weit über den bürgerlichen Salon hinaus, der Plattenladen oder die Disco sind für ihn ebenso Musikzimmer. Ich persönlich sehe diesen Ansatz nicht als Reaktion auf eine Renaissance. Die meisten Menschen lieben Musik, jeder auf seine persönliche Weise, jeder aus seinem Umfeld heraus, dem Einen bedeutet sie Leben schlechthin, für den Anderen dient sie bloß der Untermalung. Musikgeschmack erregt die Gemüter, was ist mehr wert? Ewig die gleichen Klavierstücke von W. A. Mozart vorgetragen vom jugendlichen Stolz der Familie im (Spieß-) bürgerlichen Ambiente oder Rap als längst kulturell anerkanntes Genre entstanden aus einer Subkultur geprägt von Schimpfwörtern? Wer hat das Recht hier zu urteilen?

 

Ich glaube nicht an eine Renaissance, ich verstehe Musik als wesentlichen Bestandteil im Leben jedes Menschen. So war es immer, so wird es immer sein. Der Raum, der ihr zur Verfügung steht, variiert wie die Wohngewohnheiten der Menschen im Allgemeinen. Der Eine gestaltet einen Wohnraum bis ins Detail aus, um seiner Musikliebe Platz zu gewähren, die Andere macht den Park, in dem sie mit Kopfhörern laufen geht, zu ihrem Musikzimmer.

Wann entstanden die ersten Musikzimmer?

 

Dem Ansatz von Diederichsen entsprechend hatten wohl schon die Menschen der Urzeit Musikzimmer. Vielleicht haben die Frauen beim Sammeln gemeinsam gesungen?

Mit Sicherheit wissen wir jedenfalls von musikalischen Kongregationen in den Hochkulturen der Antike, wir kennen den Minnesänger des Mittelalters, der den Platz unter dem Balkon des verehrten „wîp“ zum Musikzimmer machte. Ebenso kennen wir die prachtvoll mit Wandmalereien verzierten Musikzimmer des Barock, und meinen, die zart geschnürte Dame an der goldenen Harfe in der Mitte des Raumes zu spüren, wenn wir Schlösser besichtigen. Die inzwischen verstummten Cembali erinnern uns an die bedauernswerten Kastraten, die damals in Begleitung des hohen Seiteninstruments mit ewig jugendlicher Stimme die „gute Gesellschaft“ musikalisch erfreuten. Franz Schubert, dessen Werk ich zutiefst bewundere und oftmals genieße, allem voran seine Liederzyklen, ich liebe die “Winterreise“, oder die große Symphomie in C, für mich sein Meisterwerk, machte ganz Wien und Umgebung zum musikalischen Salon. Bedrängt durch das Biedermeier flüchtet er in einen Künstlerkreis, in dem Grillparzer literarisch, Moritz von Schwind bildnerisch und Schubert als Krönung musikalisch das kleinbürgerliche Wien für die Ewigkeit festhielten. Musiziert, gemalt, gedichtet, philosophiert wurde in kleinsten Wohnungen der Vorstadt sowie unter freiem Himmel auf den Wiener Hausbergen.

In den schrecklich dunklen Jahren, in denen meine Lieblingsmusik, Jazz, Soul und Swing als „entartete Musik“ verboten war, trafen sich junge Menschen im Untergrund, wo sie ausgelassen tanzend in traurigster Zeit das größte Glück empfanden. Sie gestalteten ihre Musikzimmer ohne Budget, und aus Erzählungen weiß ich, sie waren großartig.

Foto: Cathy Heller. © Cathy Heller/Rimon.Bezug über Dr. Karin Assadian.

Musizieren Sie mit ihren Kindern? Welche historische wie soziokulturelle Bedeutung hat Hausmusik, das gemeinsame Musizieren?

Zwar kann ich Klavier spielen, meine älteste Tochter hat einmal zwei Jahre gelernt, sich dann aber doch eher auf ihre „Tenniskarriere“ konzentriert, aber eigentlich betont derzeit nur mein drittgeborener unser Klavier. Mithilfe von verschiedenfarbigen Punkten lernt er nach dem Montessori Prinzip die Liebe zur (Klavier-) Musik. Das war und ist sein Wunsch, mir erscheint das System etwas ungewöhnlich, ich muss aber zugeben, er hat die meiste Freude am Musizieren von uns allen.

Bei Hausmusik denke ich einerseits sofort an das Bild der bäuerlichen Familie, die in warmer Stube versammelt um den großen Esstisch begleitet von der Zitter musiziert. Ich denke auch mit Grauen an die bürgerlichen Haushalte meiner Kindheit, wo die Familien versammelt mit Gästen in geschmacklosen schwarz-weißen Outfits mit ernster Miene dem Klavier-, Geige- oder Flötenspiel des Nachwuchses, alles streng klassischer Kanon, lauschten, um nachher damit zu prahlen, wie gut die österreichischen Musiker vor ein paar hundert Jahren waren.

Bei uns zu Hause bedeutet Hausmusik zweierlei: Entweder vier Kinder schreien sich gegenseitig lautstark an, ich versuche seit Jahren diese Form der Lärmbelästigung als atonale Musik zu verarbeiten. Oder: Herbert Grönemeyer gestreamt vom i-phone macht fantastische Musik, wir singen alle laut mit, die Kleinen tanzen und alle sind glücklich.

Ist das Musikinstrument auch als Statussymbol zu sehen? Nutzen Sie elektronische Multimediawelten?

 

Von Statussymbolen halte ich nichts. Beeindrucken kann man damit nur jene kleine Gruppe, die die gleichen Statussymbole hat. Aber ich bin sehr stolz auf unser schwarzes Jugendstilklavier. Erstens – und das ist mir sehr wichtig – ist es ein prachtvolles Möbel: Schwarze Schelllackpolitur bringt geschnitzte Rosenmotive im Stil von Charles Rennie Mackintosh zum Glänzen. Zweitens ist ein technisches Kunstwerk: Fest gespannte Stahlseiten in einem vergoldeten Eisenrahmen über zarte Holzklöppeln verbunden mit Elfenbein und Ebenholz, alles so zart und dabei so laut.

Multimediawelten finde ich prinzipiell toll, da bin ich aber keine Fachfrau. Dafür gibt es tolle Spezialisten. Ein Soundsystem habe ich nur im Auto. Ich sehe da aber keine Alternative zum Musikinstrument. Jeder investiert nach seinen Vorlieben.

Wie sehen Musikzimmer heute aus? Eigene Zimmer, oder auch Ecken in Jugendzimmer oder im Wohnsalon?

 

 
 
 
 
 
 
 
 
Da schließt sich wieder der Kreis zu Diederichsen! Heute ist alles möglich. Wir leben in einer wunderbar freien Zeit, auch einrichtungstechnisch. Ich meine, jedes Jugendzimmer braucht eine Musikabspielmöglichkeit, meine älteren Kinder machen alles mit Musikbegleitung, ganz zum Leidwesen ihres Vaters. Bruno Mars muss so abgespielt werden, dass er es nicht hört. Dazu gehört natürlich eine bequeme Sitzmöglichkeit, „in“ der man „loungen“ kann. So wie auch sonst beim Wohnen gilt hier, dass der Raum die Persönlichkeit seines Nutzers spiegelt. Anpassung an die individuellen Vorlieben und Gewohnheiten.

  

Foto: Musikzimmer Cathy Heller. © Cathy Heller/Rimon. Bezug über Dr. Karin Assadian.

 


 

Welche Bedeutung haben neben der Einrichtung, Akustik und technisches Equipment?

 

Egal nach welchen Stilvorlieben ein Musikzimmer gestaltet wird, die Akustik ist immer von entscheidender Bedeutung. Das Zusammenspiel der verschiedenen im Raum verwendeten Materialien muss zu einem akustisch harmonischen Ganzen gefügt werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Raum ohne Textilien wie Vorhängen, Polstermöbeln und Vorhängen führt zu einem „hohlen“ und „hallenden“ Klangbild, da nützt das beste technische Equipment nicht. Ist die Einrichtung des Raumes fertig geplant, lädt das Ambiente zum Verweilen und zum Musikgenuss ein, sind natürlich gute Instrumente oder ein durchdachtes Equipment im Sinne gut platzierter Boxen für ein funktionelles Soundsystem die erstrebenswerte Vervollständigung eines idealen Musikzimmers.

  

 

Zur Person Cathy Heller:

Die studierte Historikerin machte ihre Leidenschaft für die kreative und schöne Gestaltung von Räumen erst später zu ihrem Beruf. Über ihre leitende Funktion des Meinl Kaffeemuseums Wien lernte sie die renommierten Innenarchitekten Peter und Rupert Lorenz kennen, für die sie mehrere Jahre Wohnkonzepte realisierte. Vor der Gründung ihres eigenen Interior Design Unternehmens Rimon war sie als Innenarchitektin für Spätauf, Möbel & Design, in Wien tätig. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in Wien.

 





 

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